Suizidprävention und Suizidassistenz

Ökumenische Thesen

Im Februar 2023 veröffentlichten die evangelischen und katholischen Bischöfe und Leitenden Geistlichen von Niedersachsen und Bremen ein Thesenpapier zum assistierten Suizid.
 

22. März 2023

1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 die individuelle Selbstbestimmung in Bezug auf das eigene Sterben hervorgehoben. Zugleich ist der Mensch immer eingebunden in ein soziales Beziehungsgeflecht: Wie der Einzelne stirbt, hat Auswirkungen auf andere, auf die Gemeinschaft. Für ein humanes Zusammenleben ist eine Balance von individueller Selbstbestimmung und einem Leben in Gemeinschaft, von Freiheit und Verantwortung, von Autonomie und Fürsorge zu finden.

2. Deshalb treten auch wir ein für eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz, die Rechtssicherheit schafft, Orientierung gibt und eigenverantwortliche Entscheidungen ermöglicht. Dabei ist uns bewusst, dass allgemeine gesetzliche Regelungen nicht jede einzelne Grenzsituation zwischen Leben und Tod hinreichend abdecken können.

3. Um dem vielschichtigen Leiden von Menschen mit Sterbewunsch angemessen zu begegnen, reicht eine rechtliche Regulierung der Suizidassistenz allein nicht aus: Wir plädieren für einen signifikanten Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten zur Suizidprävention und begrüßen sehr die politische Initiative zur rechtlichen Absicherung von Suizidprävention als staatliche Aufgabe. Ebenso fördern fachlich kompetente und menschlich zugewandte Hospizarbeit und Palliativversorgung die Lebensqualität und ein Sterben in Würde. Wir bemühen uns um eine entsprechende Versorgung und Kultur in unseren kirchlichen Einrichtungen und setzen uns dafür ein, dass diese Bereiche staatlich und gesellschaftlich besser gefördert werden.

4. Für eine ausgewogene rechtliche Verfahrensregelung der Suizidassistenz erscheinen uns die folgenden Aspekte wichtig:

  • Der Qualitätsmaßstab für eine verlässliche fachliche Begutachtung der Freiverantwortlichkeit und der Dauerhaftigkeit des Suizidwillens sollte hoch angesetzt werden. Dazu bedarf es einer besonderen psychologischen und medizinischen Kompetenz.
  • Im legislativen Schutzkonzept kommt der Beratung eine hohe Bedeutung zu. Dazu sollte keine spezielle Infrastruktur für eine Beratung zur Suizidassistenz aufgebaut werden, sondern die Beratung sollte im allgemeinen Regel- und Beratungssystem verortet sein. So weitet sie den Blick über das Beratungsanliegen „Suizid/Suizidassistenz“ hinaus auf mögliche Ursachen des Suizidwunsches, baut auf vorhandenen Vernetzungsstrukturen auf und erleichtert multiprofessionelle Unterstützung.
  • Niemand kann verpflichtet werden, Suizidassistenz zu leisten (vgl. BVerfG – 2 BvR 2347/15 – Leitsatz 6). Das muss auch für Institutionen gelten. Auch brauchen diejenigen Schutz, die in schwierigen Situationen nicht mit dem Thema Suizid konfrontiert werden wollen (vgl. BVerfG Rn. 235). Trägern und Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens sollte durch eine rechtliche Regelung ein Weg eröffnet werden, nicht an Selbsttötungen mitwirken oder Suizidassistenz in ihren Räumlichkeiten dulden zu müssen. Dabei ist uns bewusst, dass es Grenzsituationen geben kann, auf die im Einzelfall in besonderer Weise reagiert werden muss.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen gesetzliche Regelungen einen realen Zugang zu freiwilliger, auch geschäftsmäßiger Suizidassistenz offenhalten. Zugleich erfordert ein wirksames Schutzkonzept rechtliche Maßnahmen gegen Suizidassistenz, wenn der Wunsch danach nicht selbstbestimmt ist. Niemand soll zudem durch freiwillige Suizidassistenzangebote unter – zusätzlichen - Druck geraten und so in seiner Autonomie gefährdet werden (vgl. BVerfG Leitsatz 4). Wir wenden uns gegen jede Form von Kommerzialisierung der Suizidassistenz und lehnen Werbung dafür ab, auch mit Blick auf zu erwartende Nachahmungseffekte.

5. Es bleibt unser zentrales Anliegen, mit Respekt vor der individuellen Autonomie eine Kultur der Lebensbejahung und gegenseitigen Fürsorge mitzugestalten und hierbei besonders verletzliche Gruppen zu schützen. Der Staat ist auf Basis des Grundgesetzes gegenüber dem Leben und der Selbsttötung nicht neutral, sondern bleibt der Würde des Menschen und dem Schutz menschlichen Lebens verpflichtet.

Thomas AdomeitDr. Susanne Bei der Wieden
Dr. Franz-Josef BodeDr. Bernd Kuschnerus
Dr. Karl-Hinrich ManzkeRalf Meister
Dr. Christoph MeynsWilfried Theising
Dr. Heiner Wilmer