Gemeinde & Kirche

Bau und Geschichte der reformierten Kirche in Bremen-Aumund

Von Sabrina Kolata

 

Klein und behaglich, geradlinig und modern, hell und klar – so ließe sich die evangelisch-reformierte Kirche in Bremen-Aumund wohl am besten beschreiben. In ihrer zeltähnlichen Form vermittelt sie ihren Besuchern sofort das Gefühl von Geborgenheit. Ihr Innenraum mutet stets warm, gemütlich und einladend an, fast so wie in einem Wohnzimmer. In ihrer Art passt sie zu den vielen Menschen, die ihren Raum mit Leben füllen: Sie ist schnörkellos, doch voller Charakter. Diese Prägung tragen Kirche und Gemeinde bereits seit 50 Jahren.  

 Wie alles begann...

 Schon in den 1930er Jahren lebten zahlreiche Menschen in Aumund, die zur reformierten Gemeinde Blumenthal gehörten. Bereits damals hegten diese Aumunder den Wunsch nach einer eigenen Kirche, um den Weg zum Gottesdienst zu verkürzen. So begann 1937 der Hilfsprediger Carl Herlyn über den Gemeindebrief für den Kauf von sinnbildlichen Bausteinen zu werben, um Spenden für den Bau einer Kapelle zu sammeln.[i] Doch aufgrund der damaligen politischen Lage wurde das Bauvorhaben nicht weiter verfolgt.

 Fortgesetzt wurde die Idee erst vom reformierten Hilfspastor Wilhelm Gröttrup, der von 1956 bis 1958 für den Gemeindeteil Aumund zuständig war.[ii] Als sich die reformierte Gemeinde Blumenthal, die zuvor der evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland angehörte, 1959 der Bremischen Evangelischen Kirche anschloss, wurde Aumund durch den Beschluss des Bremer Kirchentages zu einem eigenständigen Bezirk erklärt, mit eigener Pfarrstelle und eigenem Gotteshaus. Schon seit einigen Jahren feierten die hier lebenden Reformierten einmal monatlich am Sonntagnachmittag Gottesdienst in der Fährer Kapelle. Zur eigenständigen Kirchengemeinde wurden die reformierten Aumunder jedoch erst im April 1966.[iii] 1961 trat Heinz-Dietrich Brünger seinen Dienst als erster reformierter Pastor in Aumund an. Die Gemeinde nutzte zunächst zwei Räume in der Fährer Flur 86. Als jedoch im Juni 1962 auf dem Grundstück der damaligen Jahnstraße 68-70 das Pfarrhaus fertiggestellt wurde, konnte hier ein Kellerraum für Konfirmanden- und Jugendgruppenstunden genutzt werden. Auch das Gemeindebüro war zu Anfang im Pfarrhaus angesiedelt. Nach dem Bau der Schnellstraße sollte die Adresse später Pezelstraße 27-29 lauten. Den Vorschlag für den neuen Straßennamen machte Pastor Brünger auf Empfehlung Pastor Gröttrups. Er geht auf den Theologieprofessor Christoph Pezel (1539-1604) zurück.[iv] Dieser war Professor der Theologie, Prediger und ein durchgreifender Calvinist. Seit 1582 hatte er ein Predigeramt in St. Ansgarii inne und wurde 1589 Prediger und Superintendent an Unser Lieben Frauen.[v] Neben dem Pfarrhaus begannen auf dem Grundstück im November 1962 die Bauarbeiten für Kirche und Gemeindezentrum.

 Den Entwurf für den Bau machte der Architekt Kurt Schulze-Herringen (1906-1990) aus Osterholz-Scharmbeck, der 1962 bereits das Gemeindehaus an der Farger Straße 17/19 entworfen hatte. In Aumund entstand nach seinen Plänen ein sechseckiger Zentralbau mit offenem Dachstuhl und zwei Wänden aus reiner Fensterfläche. Der Kirchenraum war für 150 Personen konzipiert. Der Zugang zu diesem Gottesdienstraum sollte über eine Vorhalle erfolgen, deren Eingang zwei schwere Bronzetüren bilden. Hier sollten nochmals 60 Personen Platz finden und der Kirchenraum durch Einklappen einer Trennwand erweitert werden können.[vi] Gleichzeitig war dieses Foyer als Zugang zum Gemeindehaus geplant. Ein Flachbau mit Jugendraum und Konfirmandensaal sowie Teeküche und Toiletten schlossen sich an. Dieser Mitteltrakt war außerdem durch einen Seiteneingang begehbar. Der gläserne Anbau, wie er heute am Nebeneingang besteht, kam allerdings erst später hinzu. Angrenzend an den flachen Verbindungsbau setzte Schulze-Herringen einen Querbau, teilweise unterkellert und mit einem Satteldach versehen. Hier befanden sich sowohl eine Küsterwohnung als auch Fahrradraum, Garage und Abstellraum. Kirche und Gemeindezentrum wurden von außen mit einem Blendmauerwerk aus Ziegeln versehen. Die Kosten sollten sich auf insgesamt etwa 400 000 DM belaufen.[vii]

 

Die Verglasung des Foyers übernahm die Glasermeisterwerkstatt Fr. Kropp & Sohn. Die Gestaltung der großflächigen Kirchenfenster nahm der Lesumer Künstler Heinz Lilienthal (1927-2006) vor, der in seiner Schaffenszeit viele Bremer Kirchen durch seine Glasmalereien prägte. Er schuf zwei abstrakt gestaltete identische Fensterflächen aus großen durchscheinenden weißen aber strukturierten Gläsern und farbig leuchtenden Dickglasmosaiksteinen. Dezent unterstreichen sie die ruhige symmetrische Gestaltung des Raumes und sind durch ihre schimmernden Farbakzente dennoch reizvoll anzusehen. Die weißen Wände sowie die indirekte Beleuchtung tragen ebenfalls zu einem sachlichen Raumeindruck bei. Auch die Ausstattungsstücke des Kirchenraums wie Abendmahlstisch, Lesepult und Kirchenbänke wurden in schlichter Ausführung aus hellem Eschenholz gewählt. Die Kirchenbänke können bei Bedarf umgedreht werden, um Tischplatten aufzulegen – eine Möglichkeit, die man viele Jahre bei Gemeindefesten nutzte. Die Orgel, deren Gehäuse ebenfalls aus heller Esche gefertigt ist, stammt aus der Werkstatt des bekannten Orgelbauers Alfred Führer in Wilhelmshaven und kam erst nach Einweihung der Kirche hinzu. Insgesamt gingen die Arbeiten wohl zügig und ohne größere Zwischenfälle voran. Die Berichte in den zeitgenössischen Gemeindebriefen vermitteln den Eindruck, dass Entscheidungen zu  Baugestaltung und Einrichtung zumeist recht kurzfristig getroffen und umgesetzt wurden. Die einzig bekannte Schwierigkeit ist von der Aufstellung der großen Holzträger der Kirche bekannt. Damals gefährdete eine Sturmwarnung die Bauarbeiten, sodass man sich sicherheitshalber stündlich beim Wetteramt nach den meteorologischen Entwicklungen erkundigte.[viii] Am 4. Juli 1963 konnte das Richtfest gefeiert werden.

 Am 8. Dezember 1963, am zweiten Sonntag im Advent, wurden Kirche und Gemeindehaus feierlich eingeweiht. In seinem Grußwort des reformierten Kirchenratkonvents der Gemeinden Blumenthal, Neuenkirchen und Wasserhorst knüpfte Manfred Hausmann an die Form der Kirche als Zelt an und verband dieses Motiv mit der kurz zuvor neu erarbeiteten Gottesdienstordnung der reformierten Gemeinden in Bremen-Nord: „Wie jede Gottesdienstordnung, da sie Menschenwerk ist, nichts Endgültiges, nichts bis ans Ende und am Ende Gültiges darstellt, so ist auch dies so fest gegründete und so schön gefügte Haus nebst allem, was darin geschieht, unter das Zeichen der Vorläufigkeit gestellt. Obgleich aus Beton, Stein und Eisen, ist es vor dem Angesicht Gottes doch nur eine Zeltwohnung.“[ix]

 Den 18 Meter hohen Glockenturm stellte man erst 1964 fertig. Nach Ablehnung des ersten Entwurfs, nach dem der Turm die Form einer wuchtigen monumentalen Pyramide bekommen sollte, die Pastor Brünger im Gemeindebrief als „Zuckerhut“ bezeichnete, sollte er schließlich eher den Charakter eines Glockenträgers erhalten.[x] Aus Kostengründen entschied man sich für eine Variante aus Beton, deren Pfeiler von Stahlplatten zusammengehalten werden. Noch 14 Jahre später wird er in der Presse als „architektonische Rarität“ und als „einmalig in Norddeutschland“ bezeichnet.[xi] In seiner heutigen Form, mit seinen vier konisch zulaufenden Pfeilern, dem dunklen Glockenstuhl und dem 2,20 m hohen Kugelkreuz auf der Spitze wurde er also ein Jahr nach dem Kirchenbau fertiggestellt. Er beherbergt drei Glocken mit den Inschriften „Jesus Christus gestern“, „Jesus Christus heute“ und „Jesus Christus auch in Ewigkeit“. Die Worte finden sich auch über dem Abendmahlstisch im Kirchenraum wieder. Die Glocken stammen aus der wohlbekannten Glockengießerei Schilling in Heidelberg und sind auf das Geläut der naheliegenden Christophorus-Kirche abgestimmt. An dem Sonntag, da sie zum ersten Mal geläutet wurden, mauerte man eine Kassette mit einer Urkunde in das Fundament des Turmes ein.[xii]

 

In dem neu entstandenen Gebäudekomplex, insbesondere am eigentlichen Kirchenraum, spiegeln sich das neue theologische Verständnis und die Auffassung kirchlicher Architektur der Nachkriegszeit wider. Im Mittelpunkt steht der gemeinsame Gottesdienst, bei dem die Kirche als Ort der Versammlung dient. Die Tendenz ging dahin, den „Kirchenraum als eine einfache, schlichte Wohnungskirche“ zu verstehen.[xiii] Gleichzeitig war die klare Gestaltung mittels einfacher Formen ein grundsätzliches Anliegen vieler damaliger Architekten. Der Raum der Aumunder Kirche wirkt einerseits geschlossen und Schutz versprechend, andererseits offen und transparent.[xiv] Die Nüchternheit entspricht sowohl dem damaligen Architekturstil als auch dem reformierten Selbstverständnis der Gemeinde. Die bescheidene Größe der Kirche lässt sich auf die Entwicklung von Neubausiedlungen zurückführen, für die von der Bremischen Evangelischen Kirche vornehmlich kleine Gemeindezentren als sogenannte „überschaubare Gemeinden“ konzipiert wurden, die eine stärkere Verbundenheit als in großen Gemeinden ermöglichen sollte.[xv] Dies ist Kirchenbau und Gemeindezentrum ohne Zweifel bei vielen Menschen gelungen. Nicht zuletzt lag auch die Ausführung des Gebäudegefüges als multifunktionales Gemeindezentrum im Stil der Zeit.

 
 Umbauten und Veränderungen

 Während der eigentliche Kirchenbau in seinem Erscheinungsbild über 50 Jahre hinweg nahezu unverändert blieb, erfuhr das Gemeindehaus mittlerweile eine Reihe von Umbaumaßnahmen. Neben Reparaturen von Schäden, die Zeit und alltäglicher Gebrauch verursachten, haben veränderte Ansprüche an die Funktion des Gemeindezentrums zu kleineren und größeren Umbauten geführt. So wurde 1971 der noch heute bestehende Kinderspielkreis in der ehemaligen Küsterwohnung eingerichtet.[xvi] Bis zur Auflösung der Stelle lebten Küster und Familie seitdem in einer Wohnung im gegenüberliegenden Wohnblock.

 In der Zeit 1985/86 wurden größere Umbaupläne umgesetzt, die wieder Architekt Kurt Schulze-Herringen entwarf. Konfirmandensaal und Jugendraum wurden erweitert und dieser zuvor gänzlich flachgedeckte Mittelteil des Gemeindezentrums erhielt seine teilweise Erhöhung durch ein Krüppelwalmdach. Ein Zeitungsartikel berichtete: „Obwohl die Anzahl der Gemeindemitglieder nicht gestiegen ist, war das Raumangebot derart ungenügend, daß für viele Veranstaltungen das Foyer der Kirche mit benutzt werden mußte. Faßte der alte Saal gerade 50 Personen, so geht in den neuen gut die dreifache Zahl.“[xvii] Zudem wird in diesem Artikel berichtet, dass durch eine Verschiebung zweier Stufen vor dem Saal der Zugang dorthin behindertengerecht gestaltet wurde. Auch eine Behindertentoilette sei eingerichtet worden. Auf die Bewilligung ihrer Umbaupläne seitens der Bremischen Evangelischen Kirche habe die Gemeinde mehrere Jahre warten müssen. Fahrradraum und Garage wurden zu einem Aufenthaltsraum umgebaut und man errichtete stattdessen eine separate Garage zwischen Gemeindehaus und Pfarrhaus. Der Spielkreisraum wurde vergrößert und erhielt eine eigene Terrasse.

 Im Jahr 2006 (?) wurde das Gemeindehaus der reformierten Gemeinde zum Jugendzentrum des Gemeindeverbundes Aumund-Vegesack erklärt. In diesem Zuge erfolgten erneut einige Umbauarbeiten, wie zum Beispiel der Einbau einer Gruppenküche. Gerade dieser Bereich des ehemaligen Küsterhauses wurde im Laufe der Zeit mehrmals umgebaut und beheimatete vor dem Kücheneinbau das Gemeindebüro. 2013 erfolgte dann der Ausbau des Dachbodens, um diesen für Kinder- und Jugendgruppen nutzen zu können. Die Renovierung wurde in vielen Arbeitsstunden gänzlich von Ehrenamtlichen bewerkstelligt.

 Kirche und Gemeindezentrum sind noch immer ein Ort, an dem sich Gemeindemitglieder und Besucher gerne aufhalten. In den Räumen, Fluren sowie im Keller wird jeder Zentimeter für Veranstaltungen, Projekte oder für die Lagerung diverser Materialien genutzt. Früher wie heute existiert in der Pezelstraße 27 ein lebendiges Gemeindeleben, durch das der Bau ständig weiterentwickelt wird.

 

[i] Hartmut Graeber: Die Evangelisch-reformierte Kirche Aumund in Fähr-Lobbendorf, in: Hartmut Müller/Jürgen Hartwig (Hrsg.): Fähr-Lobbendorf: Leben und Arbeiten im Zentrum des Bremer Nordens, Edition Temmen, Bremen 1997, S. 144.

[ii] Ingbert Lindemann: Wo wohnt denn hier der Aumunder Pastor – Ökumene in Aumund, in: Kirche Hoch 4. Gemeindebrief des Verbundes der evangelischen Gemeinden Alt-Aumund, Christophorus Aumund/Fähr, Aumund-reformiert und Vegesack, Ausgabe 31, Dezember-Februar 2012/2013.

[iii] Ebd.

[iv] Auszug aus der Reihe „Straßennamen in unserer Gemeinde“, masch. schriftl. (o. A.), Pfarrarchiv Aumund-ref., Akte Aus der Kirchengeschichte ab 1961.

[v] Herbert Schwarzwälder: Das Große Bremen-Lexikon, Edition Temmen, Bremen 2002, S. 551.

[vi] O. A.: In Aumund entsteht neues Gemeindezentrum, 4. Januar 1963, Norddeutsche Volkszeitung.

[vii] Ebd.

[viii] Albrecht-Joachim Bahr: Aumunder Gemeinde besteht seit 40 Jahren, 18. Oktober 2003, NOR, Nr. 244

[ix] Aus dem Grußwort zur Einweihung der ev. reformierten Kirche in Bremen Aumund, 8.XII.63 von Manfred Hausmann.

[x] Gemeindebrief der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde, Gemeindebezirk Bremen-Aumund, Juni/Juli 1963.

[xi] O. A.: Glocken erklangen erstmals vor 14 Jahren, 6. Dezember 1978, Die Norddeutsche?, Nr. 286.

[xii] Gemeindebrief der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde, Gemeindebezirk Bremen-Aumund, September/Oktober 1964.

[xiii] Emilia Kapuscinski: Sakrale Architektur der Nachkriegszeit, in: Im Geiste offen – Der Künstler Max Herrmann und sein Werk, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Dom Museum Bremen, Bremen 2012, S. 24.

[xiv] Vgl. ebd., S. 25.

[xv] Ingbert Lindemann: Wo wohnt denn hier der Aumunder Pastor – Ökumene in Aumund, in: s.o.

[xvi] Hartmut Graeber: Die Evangelisch-reformierte Kirche Aumund in Fähr-Lobbendorf, in: s.o., S. 146.

[xvii] O. A.: Auch für Rollstuhlfahrer gebaut, 14. Juli 1986, Die Norddeutsche Nr. 160.