Evangelisches Bildungswerk

News & Aktuelles

Donnerstag, 24. März 2022

Auf den Spuren der Demokratie

Wer etwas darüber erfahren will, wie aus den Trümmern der Weimarer Republik und des Dritten Reiches ein neuer, demokratisch verfasster Staat entstand, der sollte Wolfgang Koeppens 1953 veröffentlichten Roman „Das Treibhaus“ lesen, bitterböse und tieftraurige Politsatire und zugleich ein Zeitdokument von erstaunlicher Aktualität.

Wie 1953 ist die parlamentarische Demokratie – nicht nur in Deutschland – heute wieder in der Defensive, und das nicht nur durch die vollmundigen und leichtfertigen Versprechen von Populisten und autoritären Heilsbringern verschiedener Couleur. Das macht die Lektüre dieses fast siebzig Jahre alten Romans so spannend. 

Mit seinem Protagonisten, dem Abgeordneten Keetenheuve, teilte Wolfgang Koeppen eine tiefsitzende Skepsis, dass die Transformation der damals gerade untergegangenen NS-Diktatur zu einem demokratisch verfassten Staat je gelingen könnte. Wie sollten die gleichen Menschen, die noch vor kurzer Zeit den Nationalsozialisten zugejubelt hatten, nun einen neuen Staat und eine neue, bessere Gesellschaft aufbauen? Die politischen Parteien, die sich mangels Alternativen auf die parlamentarische Republik als Spielregel geeinigt hatten, kämpften um Mehrheiten, nicht um Wahrheiten. Und Mehrheiten sind fragil, nicht unumstößlich. Die Lücke zwischen dem, was sein sollte, und dem, was möglich ist, wird nie geschlossen.

Schauplatz des Romans ist die rheinische Kleinstadt Bonn, das Provisorium des demokratischen Aufbruchs. Hintergrund der Handlung bildet die parlamentarische Debatte um die Wiederbewaffnung. Letztlich ging es dabei um die Stabilisierung eines politischen Systems, das Keetenheuve unvollkommen erschien, ohne Kompass und Orientierung, ausgeliefert den Egoismen und Intrigen der parlamentarischen Akteure. Er weigert sich, dieses Spiel mitzuspielen. Melancholisch durchstreift er die Straßen Bonns, ein desillusionierter Moralist, der keine Perspektive mehr erkennen kann und deshalb in seinen eigenen Untergang gerät.

Wir folgen Keetenheuves Spuren, rekonstruieren die Orte des frühen Parlamentarismus, entdecken die Aktualität der alten Debatten und sind damit ganz nah an den Wurzeln des Systems, das, fragil und unvollkommen und immer wieder umstritten, uns doch seit langer Zeit trägt.  

Wer war der Autor Koeppen, der sich schon während der Zeit des NS unauffällig verhalten hat und ab den frühen 50er Jahren, nach dem Erscheinen einer Romantrilogie über die junge Bundesrepublik, trotz großer literarischer Meisterschaft, endgültig in Schweigen verfiel? Wer hat ihm, dem linken Liberalen und Pazifisten, 1953 applaudiert? Wer hat ihm widersprochen? Mit welchen Argumenten?

Wir gehen auf Spurensuche!
Bildungszeit, 6-tägig | 10.-15. Juli 2022 | KSI Siegburg inkl. Vollpension | Leitung: Dr. Ingrid Laurien
Infos & Anmeldung

[Text: Ingrid Laurien | Grafik: Wolfgang Koeppen - imago images; Bonn - Martin Willms/Pixabay]