
09. Juni 2023
Geschichte der Gemeinde
Es waren Holländer aus der Gegend von Utrecht, die der Bremer Erzbischof Friedrich (1104 – 1123) 1106 ins Land holte, damit sie einen Teil der anmoorigen erzbischöflichen Landesallmende um die heutigen Ortschaften Horn und Lehe urbar machen und kultivieren sollten. Über 75 Jahre, also über etwa drei Generationen, dehnten diese ersten Kolonisatoren ihre Kultivierungsarbeiten „over“, also jenseits von Horn aus und okkupierten „nigelant“, also neues Land. Das geschah auch weiter gen Osten in waldreiches Gebiet, also „in't Holt“, ebenso nach Süden ins „Vurholt“, also ins Vahrer Holz. 1181 verkaufte dann der Bremer Erzbischof Siegfried (1180 – 1184) dieses Land an die holländischen Siedler. In der Urkunde vom 18. Januar 1181 wird es als Ödland bezeichnet “quod Overnigelant dicitur, Rocwinkil, Osterholt et Vurholt“, also was Oberneuland, Rockwinkel, Osterholz und Vahrholterfeld genannt wird. Gleichzeitig bestimmte der Erzbischof in der Urkunde, daß alle Bewohner der Gegend „ad unam parrochiam“, also zu einer Pfarrei gehören sollten, nämlich zu Oberneuland. Diese Urkunde vom 18. Januar 1181 ist also die eigentliche Geburtsurkunde für Osterholz, aber zugleich auch für das kirchliche Leben in der Parochie Oberneuland, zu der später auch noch Katrepel und bis 1835 Sebaldsbrück gehörten.
Einen bemerkenswerten und schönen Ausdruck dieser Gründung von Osterholt gibt das Logo zur 800-Jahr-Feier von 1981 wieder. Es symbolisiert die von den holländischen Siedlern mit Pflug und Spaten in Form der Hollerkultur vorgenommene Kultivierung im waldreichen Osten: für den Osten steht die aufgehende Sonne, für den Waldreichtum die Eiche, und die zumeist der Hollerkultur entsprungenen fünf Felder stellen die heutigen Ortsteile Osterholz, Ellen, Tenever, Schevemoor und Blockdiek dar.
Die Oberneulander Parochie umfaßte mit ihren Ortschaften ein großes Kirchengebiet. Wir können uns heute in unserer hektischen Zeit kaum noch vorstellen, daß für unsere Vorfahren stundenlange Kirchwege zum Alltagsleben gehörten. Denken wir nur einmal daran, daß Fischerhude einstmals zur Kirche von Arbergen gehörte! Im Vergleich dazu war für die Osterholzer der Weg zur Oberneulander Kirche zum Gottesdienst, zur Taufe und Konfirmation, zur Trauung und Beerdigung fast ein Spaziergang. Überdies fuhren die Bauern größerer Hofstellen zumeist auch noch mit der Kutsche zur Kirche! Jedenfalls hatte die Gemeinde Osterholz in dem Oberneulander Kirchspiel viel Raum zur kirchlichen Entfaltung. So haben denn auch Geschehnisse und Menschen von Osterholz aus das kirchliche Leben unter den Oberneulander Pastoren stark mitgeprägt und begleitet. Die Dorfschaften Osterholz, Rockwinkel und Oberneuland stellten je einen Kirchenjuraten oder Kirchgeschworenen. Unter Pastor Weldner (1664 – 1679) sind als Kirchgeschworene aus „Osterholtz Ebert Lachmund und Dirich Lachmund“ verzeichnet, und am 10.12.1769 leistete als Nachfolger des Osterholzer Kirchgeschworenen Jost Lampe Bauer Johann Kropp aus Osterholz den Kircheneid. Die 1777 gegossene Glocke der Oberneulander Kirche trägt unter den drei Kirchgeschworenen auch den Namen von Johann Kropp. Weiter sind unter den Kirchenjuraten aus Osterholz 1804 Gerke Osmers, 1831 Lür Kaemena und 1887 Nikolaus Schnakenberg verzeichnet.
Nach der Gemeindeordnung für die Kirchengemeinden des bremischen Landgebietes vom 1. September 1921 stellten dann die drei Dörfer des Kirchspiels Oberneuland, Rockwinkel und Osterholz je zwei Mitglieder für den Kirchenvorstand. Das waren für Osterholz aus dem Bauernstand Lür Osmers und Johann Bollmann. Ihnen folgten Daniel Tietjen und Johann Kropp, die auch nach der Abtrennung der Gemeinde von Oberneuland 1938 im Vorstand verblieben.
Osterholzer Landleute waren es auch, die als erste 1664 das Tauf- und Trauregister der Oberneulander Kirche anführen. Auch einige der ältesten Grabmale auf dem Oberneulander Friedhof erinnern an Osterholzer Vollbauern, so die Grabsteine von 1673 und 1696 an die Familien Lachmund. Die von dem Hambuger Maler Prof. Fischer-Trachau gemalten Gedenktafeln in der Oberneulander Kirche halten ebenfalls die Erinnerung an Namen und Hauszeichen alter Osterholzer Familien fest, wie z.B. an „Harm Eidmann zu Osterholz, Fenrich des Hollerlandes 1634 – 1709“. Ein anderer „Fenrich des Hollerlandes“ aus Osterholz, nämlich Lür Boschen, stiftete 1671 der Kirche zu Oberneuland „auß Freygebigkeit einen neuen Predigtstuhl, welcher ihn gekostet zwanzig und vier Reichstaler“. Seine Erben legten 1675 nochmals 30 Bremer Mark nach, die damals einen beträchtlichen Vermögenswert darstellten.
Ein anderer hochherziger Spender aus Osterholz war der Bäckermeister Heinrich Krull. Damit die Osterholzer möglichst trockenen Fußes zur Oberneulander Kirche gelangen sollten, leistete er einen erheblichen Beitrag zu den Kosten für die Erstellung der Schevemoorer Landstraße. Außerdem setzte er für die Errichtung einer Kapelle 1905 der Oberneulander Kirche ein Kirchenlegat von 20.000 Mark aus. Er wollte erreichen, daß die Toten kirchlich aufgebahrt werden konnten und nicht bis zur Bestattung in den engen Häusern der Kötner und Brinksitter verbleiben mußten.
In dem Kirchensprengel wuchs die Dorfschaft Osterholz bevölkerungsmäßig am schnellsten und am stärksten an. Hinzu kamen die sozialen Einrichtungen wie Ellener Hof 1847, das St.-Jürgen-Asyl 1904, das Mütter- und Säuglingsheim 1910 und die Egestorff-Stiftung 1912, die gleichfalls neben den Kindern in der Osterholzer Schule von dem Oberneulander Pastor seelsorgerisch betreut werden mußten. In die Gemeinde und zu den Heimen kam Pastor Holthoff (1881 – 1926) noch zu Fuß und sein Nachfolger Pastor Reusche (1930 – 1953) zunächst noch mit dem Fahrrad. Da eine derart umfangreiche Arbeit nicht mehr allein von einer Kirche und einem Pastor geleistet werden konnte, drängte sich gebieterisch die Gründung einer eigenen Kirchengemeinde auf. Diese nahm ab 1936 erste Formen an und geriet sogleich mit dem damaligen Geist der unseligen Nazi-Zeit (1933 – 1945) und dem Kirchenstreit zwischen der bekennenden Kirche und den deutschen Christen der kommenden Kirche in Konflikt.
Der damalige Bremer „Landesbischof“ plante als Vertreter der deutschen Christen in Osterholz, Sebaldsbrück und Gröpelingen drei schlichte Einheitskirchen, die dem Gedächtnis herausragender Persönlichkeiten dienen sollten. In Osterholz sollte eine Hindenburg-Gedächtniskirche errichtet werden. Der Kirchenvorstand und Pastor Reusche versuchten sich von den deutschen Christen und der bekennenden Kirche abzugrenzen und den volkskirchlichen Weg der Mitte weiterzugehen. Sie hielten die Bezeichnung Hindenburg-Gedächtniskirche jedoch noch für vertretbar. Aber der Bremer Bürgermeister Böhmker hielt die Benennung für eine untragbare Anmaßung der Kirche und untersagte im März 1938 „Namen von nationaler Bedeutung ohne seine Genehmigung zur Bezeichnung von Kirchen zu verwenden und den Kirchenneubau in Osterholz auf den Namen Hindenburg-Gedächtniskirche zu weihen“.
Nach einem mehrmonatigen Streit auf höchster kirchenpolitischer Ebene erhielten dann die Einheitskirchen den Namen Dankeskirche „aus Dankbarkeit gegen Gott für die wunderbare Errettung unseres Volkes vom Abgrund des jüdisch-materialistischen Bolschewismus durch die Tat des Führers“. So wurde am ersten Advent 1938 die Dankeskirche Osterholz eingeweiht. Zuvor hatte der „Landesbischof“ Weidemann nach der 1934 erfolgten Ausschaltung von Kirchentag und Kirchenausschuß getreu dem auch in der kommenden Kirche praktizierten Führerprinzip als Bremischer Kirchenführer omnipotent das am 15. Juni 1938 in Kraft getretene Gesetz über die Bildung der Kirchengemeinde Osterholz erlassen. Damit war Osterholz aus gut 750 Jahren volkskirchlicher Geborgenheit im Kirchsprengel Oberneuland entlassen. Und schon innerhalb kurzer Zeit wurde aus der Tochter-Gemeinde Osterholz selbst eine Mutter-Gemeinde für die Kirchengemeinden Blockdiek und Ellenerbrok 1965 und die Kirchengemeinde Tenever 1971.
Die Eigenmächtigkeit und Schwierigkeit bei der Gemeindegründung 1938, als Kreuz und Hakenkreuz vermischt werden sollten, hinterließen für die Kirchengemeinde jedoch einen tiefen negativen Eindruck. Zwar konnte man mit der Benennung Dankeskirche noch zufrieden sein. Denn man konnte – wie es dann auch in Osterholz geschah – allein Gott danken und den Führer vergessen. Und durch die Verordnung über die Bildung der Evangelischen Kirchengemeinde Bremen-Osterholz vom 14. Juni 1946 wurde nach Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Zustände in der Bremischen Evangelischen Kirche unsere Kirchengemeinde auch nochmals und jetzt rechtmäßig gegründet und Pastor Winkler am 17. August 1946 zum Gemeindepfarrer gewählt.
Aber wir mußten weiterhin noch bis 1968 mit der im Kriege stark beschädigten und einigermaßen reparierten Dankeskirche leben. Diese Kirche stand jedoch immer noch in dem Ruf, eine Kirche der Nazi-Zeit zu sein.
Deswegen sollte nach Auffassung des Kirchenvorstandes eine neue Kirche an die lange Geschichte anknüpfen und nicht dem flüchtigen Zeitgeist verfallen. Nach langen Überlegungen einigte sich daher der Kirchenvorstand auf Philipp Melanchthon (1497 – 1560), den klugen Mitstreiter Luthers, als Namensgeber für die 1968 errichtete neue Kirche und damit auch als Namensgeber für unsere Kirchengemeinde. Melanchthon steht nicht für irgendeinen Zeitgeist, sondern für wegweisende Kirchengeschichte und zukunftsweisende Orientierung.
Berthold Lindemann