10. Dezember 2024
Kanzelrede von Heribert Prantl
Kanzelrede von Heribert Prantl
Ökumenischer Gottesdienst zum Tag der Arbeit - Es gilt das gesprochene Wort
Lassen Sie mich hier in Bremen mit einer Geschichte aus meiner bayerischen Heimat anfangen, mit einer alten Geschichte, einer Geschichte über das Leben und den Tod – ich erzähle ihnen die Geschichte vom Brandner Kasper, die zigtausendmal als Theaterstück aufgeführt und einige Male verfilmt wurde. Sie ist 1871 erstmals in den Fliegenden Blättern veröffentlicht worden, ist also jetzt genau 150 Jahre alt, stammt von Franz von Kobell und geht so: Zum Brandner Kaspar, einem rüstigen 74jährigen Mann, kommt der Tod in Person, als Boandlkramer, wie der im Dialekt heißt. Der Brandner Kasper, ein Filou, lädt diesen Boandlkramer zum Kartenspielen ein, betrügt ihn dabei und ergaunert sich unter Einsatz vom viel Kirschwasser zusätzliche Lebensjahre und die Zusage, dass der Tod ihn erst mit 90 Jahren holt.
Der illegale Handel wird aber nach einigen Jahren aufgedeckt - und auf Befehl des Heiligen Petrus begibt sich der Boandlkamer wieder an den Tegernsee, um den längst Überfälligen nun endlich und endgültig abzuholen. Der Brandner Kasper hat inzwischen sehr unter den schlechten Zeiten gelitten. Dennoch will er dem Tod nicht folgen. Er lässt sich nur dazu überreden, einmal einen kurzen Blick ins Jenseits zu werfen. Aber: Dieser Blick überzeugt ihn – und er bleibt dort.
Was hat das mit Corona zu tun? Für viele Menschen war, für viele Menschen ist Corona so was wie eine unzeitige, eine vorzeitige Begegnung mit dem Tod. Der Einsatz diverser Mittel, um dem Tod zu entgehen, war und ist freilich, anders als in der genannten Geschichte vom Brandner Kaspar, gar nicht lustig, es ist nicht Kartenspiel und Kirchlikör. Das Leben in der langen Corona-Zeit mit all ihren Beschränkungen, mit all den Veränderungen des Lebens ist beschwerlich. Dem Brandner Kasper hat der Blick in ein Jenseits der beschwerlichen Wirklichkeit Freude gemacht, er hat ihn begeistert und überzeugt. Aber der Blick ins Jenseits der coronalen Wirklichkeit macht nicht eben Freude. Die Kirchen und die Gewerkschaften können von dem coronalen Blick in die Zukunft nicht so begeistert sein. Ich bin es auch nicht. Die leeren Kirchen während des Lockdowns könnten zum Sinnbild für die nahe Zukunft der Kirche werden; steht die große Leere bevor? Wird sich das System Religion als der eigentliche Verlierer der Corona-Krise erweisen? Tut das den Menschen gut? Für die Gewerkschaften stellt sich die Frage, wie die Zukunft der Arbeit aussieht. Findet die Erwerbsarbeit mehr und mehr außerhalb eines Betriebes statt? Besteht die Zukunft der Arbeit in leeren Büros und im Home Office und im Crowd-Working all over the world? Tut das den Menschen gut?
Wir haben eben die Lesung von den Arbeitern im Weinberg gehört. Es ist dies ein Gleichnis über Gerechtigkeit. Ist es gerecht, wenn einer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Weinberg geschuftet hat für einen Silbergroschen – und einer kommt erst kurz vor Feierabend und bekommt das selbe? Ist es gerecht, wenn eine sich mit vier Putzstellen über Wasser hält und eine andere tut das nicht und bekommt Arbeitslosengeld?
Es kommt zum Protest. Die einen zeigen mit den Fingern auf die anderen. Der erste auf den letzten Arbeiter, die Putzfrau auf die Arbeitslose. Ihr Gerechtigkeitsgefühl ist verletzt. Man kann sie verstehen. Aber es gibt etwas, was mir unsympathisch ist an diesem Protest: Mit wäre es lieber, wenn das nach oben protestiert würde, wenn die mehr Geld, wenn die einen Zuschlag verlangen würde. Nein, das tun sie nicht. Sie treten nach unten und protestieren gegen die Gleichstellung der anderen. Statt sich zu freuen, dass der Habenichts auch satt wird, schimpft der Habewenig über die Gleichmacherei. Jesus will mit diesem Gleichnis vom Himmelreich die Verrücktheiten solchen Gegeneinanders aufdecken und zur Solidarität ermuntern. Jeder kriegt das, was er braucht – das tägliche Auskommen. Egal, wann er gekommen ist, woher er kommt, wie viel er getan hat. Einfach nur, weil sie, weil wir Menschen sind.
Einfach nur, weil wir Menschen sind. Das führt mich zu Corona, das führt mich zu den Einschränkungen der Grundrechte. Grundrechte haben wir, einfach deswegen, weil wir Menschen, weil wir Bürgerinnen und Bürger sind. Wir müssen sie uns nicht durch Leistung, nicht durch Wohlverhalten verdienen. Wenn sie also eingeschränkt werden, weil so das Virus bekämpft werden soll, muss das mit Sorgfalt geschehen und die Belastungen gerecht verteilt werden – die Belastungen können nicht einseitig den Gastwirten, den Kulturschaffenden und den Jugendlichen auferlegt werden.
Wenn junge Menschen nicht mehr in die Schulen, nicht mehr an die Unis dürfen, wenn auch noch die Sportstätten und die Gastronomie geschlossen ist - welche Räume verbleiben jungen Menschen dann noch. Sie dürfen durch die Akkumulation der Pandemiemaßnahmen nicht zu einer fast schon kontaktfreien Generation verdammt werden. Und Familien dürfen durch Schließung von Schulen und Kitas nicht in den Wahnsinn getrieben werden. Kitas und Schulen gehören zu den unglaublich wichtigen Lern- und Lebensorten. Dieser gemeinsame Raum des miteinander und voneinander Lernens ist der größte und beste Pädagoge. Mit Distanzunterreicht kann man ihn nicht herstellen, so verschärft man die Bildungsungleichheit. Das gefährdet die Zukunft der Kinder und die Zukunft der Gesellschaft.
Es geht also um die gerechte Verteilung gesellschaftlich geschuldeter Solidarität. Grundrechte sind ein Grundnahrungsmittel zum Leben. Auch in der Krise braucht Jeder und Jede das, was er zum Leben nötig hat.