Freitag, 28. November 2025
Bericht der Fachstelle: Kirchenparlament befasst sich mit sexualisierter Gewalt
Am Nachmittag seines ersten Sitzungstages (26.11.25) hat sich der Kirchentag, das Parlament der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK), schwerpunktmäßig mit dem Thema sexualisierter Gewalt in der BEK beschäftigt und dazu auch einen Beschluss gefasst. Die Delegierten lassen sich regelmäßig über die Zahl der gemeldeten Fälle, den Umgang damit, die Aufklärung und den Stand der Präventionsarbeit in allen Gemeinden und Einrichtungen der BEK informieren.
Nancy Janz von der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der BEK blickte zunächst auf das vergangene Jahr zurück
Die Veröffentlichung der ForuM-Studie Anfang 2024 sowie die EKD-weite Auseinandersetzung mit den strukturellen Erkenntnissen haben die Arbeit in der BEK grundlegend beeinflusst
sagte Nancy Janz vor den Kirchenparlamentarier:innen. Zu beobachten sei eine erhöhte Sensibilität auch oder gerade für die Randbereiche sexualisierter Gewalt.
Hintergrund & Zahlen
- seit 1998 gibt es in der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) eine Meldestelle für sexualisierte Gewalt und auch Ansprechpersonen
- bis Ende 2023 gingen dort insgesamt elf Fälle ein, die sich zusammen auf 27 betroffene Personen bezogen
- mit der Einrichtung der Fachstelle Sexualisierte Gewalt im Mai 2024 stieg die Zahl der Meldungen an. Dieser Anstieg zeigt, dass Meldewege sichtbarer und bekannter geworden sind, die Fachstelle erreichbar ist und die BEK verlässliche Strukturen aufbaut, die Vertrauen ermöglichen. Die Fachstelle wurde von der Kirchenleitung zwischenzeitlich – zunächst für zwei Jahre – auf eine Vollzeit-Personalstelle aufgestockt
- im Jahr 2024 wurden 18 Fälle mit 19 betroffenen Personen gemeldet
- im laufenden Jahr 2025 (Stand 25.11.2025) sind es bereits 19 Fälle mit bislang 19 betroffenen Personen
Worum geht es bei den aktuell von der Fachstelle bearbeiteten Fällen?
Beispielhaft geht es um:
- zwei Meldungen, die den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung betreffen
- drei Hinweise, die sich auf Machtmissbrauch und spirituelle Gewalt beziehen. Hier reagierte die Fachstelle mit sogenannten “Gefährderansprachen”, das bedeutet, dass konfrontative Gespräche mit einem Menschen geführt werden, der noch nicht straffällig geworden ist, aber als potenzieller Gefährder eingestuft wird
- fünf Fälle betreffen den Kitabereich, darunter “Peer-to-Peer”, also Gewalt unter Gleichaltrigen
- drei gemeldete Fällen von Peer-to-Peer-Gewalt betreffen die Arbeit mit jungen Menschen
- ein Fall bezieht sich auf den Bereich der Diakonie.
- Die Fälle reichen von akuten Gefahrensituationen hin zu viele Jahrzehnte zurückreichende Taten.
Wie geht die Kirche mit den aktuell gemeldeten Fällen um?
- Es gab sechs Anzeigen bei der Polizei/ Staatsanwaltschaft.
- Ein Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt, die beschuldigte Person ist rehabilitiert.
- Ein Fall ist einer anderen Landeskirche zuzuordnen und wurde entsprechend weitergeleitet
- Alle Fälle werden ausnahmslos ernstgenommen und bearbeitet, unabhängig davon, ob sie sich auf aktuelle Geschehnisse oder lange zurückliegende Ereignisse und Beobachtungen beziehen.
- Die BEK geht jeder Meldung mit Sorgfalt nach und leitet alle notwendigen Schritte ein.
Neue Strukturen und Verfahren der Fachstelle
Seit der Gründung der Fachstelle wurden transparente Prozesse geschaffen, darunter ein Interventionsplan, der die wesentlichen Schritte im Umgang mit Meldungen beschreibt.
Für den Bereich der evangelischen Kitas gibt es ein gemeinsames Vorgehen, das sich am Kinderschutzkonzept orientiert und dann dem Interventionsplan folgt.
Ein zentraler Bestandteil ist dabei der Einbezug einer externen juristischen Fachperson, die jeden Fall rechtlich bewerten und begleiten. Die Fachstelle arbeitet eng mit Strafverfolgungsbehörden und externen Beratungsstellen zusammen und setzt auf eine proaktive Öffentlichkeitsarbeit.
Sexualisierte Gewalt darf nicht hinter verschlossenen Türen bearbeitet werden. Sie braucht Sichtbarkeit, Offenheit und klare Strukturen, damit Betroffene Orientierung und Unterstützung erhalten. Diese offene Kommunikation hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Menschen sich melden und dass Gemeinden und Einrichtungen handlungsfähiger werden
erläuterte Nancy Janz vor dem Kirchenparlament. Gemeinden, die von einem Vorfall betroffen sind, erhalten Unterstützung durch Supervisor:innen, die in Krisensituationen begleiten, Orientierung geben und Teams stärken. Es werden zusätzlich Kriseninterventionsteams vor Ort eingerichtet.
Niemand bleibt in diesem Prozess allein – weder Betroffene, noch Mitarbeitende, noch Leitungspersonen.
Bericht aus Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission
Dr. Jutta Schmidt, stellvertretende Leitung der Kirchenverwaltung, berichtete vor dem Kirchenparlament über den aktuellen Stand der gemeinsamen Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission der Konföderation niedersächsischer Kirchen und Bremen, also dem Zusammenschluss der evangelischen Kirchen und Diakonischen Werke in Niedersachsen und Bremen, sowie über die Umsetzung der Anerkennungsrichtlinie.
Im Bewusstsein seiner Verantwortung für die Folgen sexualisierter Gewalt bei Betroffenen in Kirche und Diakonie hat der Kirchenausschuss der Bremischen Evangelischen Kirche einstimmig der Ordnung der Anerkennungskommission der evangelischen Kirche in Niedersachsen und Bremen zugestimmt
so Jutta Schmidt.
Der Verwaltungsrat des Diakonischen Werkes Bremen berät noch sowohl über die Ordnung der Anerkennungskommission als auch über eine Vereinbarung zur Ermöglichung und Sicherstellung der Finanzierung von Anerkennungsleistungen, die der Kirchenausschuss der BEK dem Diakonischen Werk Bremen vorgelegt hat. Eine Beschlussfassung hierzu wird nach weiteren Beratungen für den Beginn des Jahres 2026 angestrebt.
Der Kirchenausschuss bedauert dies. Die Bremische Evangelische Kirche steht zu ihrer Verantwortung und wird sich weiter intensiv für die Übernahme der Ordnung der Anerkennungskommission und eine angemessene Finanzierungsvereinbarung einsetzen
führte Jutta Schmidt aus.
Nancy Janz betonte, die fachliche Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt sei wichtig, sie sei aber erst dann wirksam, wenn sie den Alltag der Kirchengemeinden erreiche.
Menschen, die Gewalt erlebt haben – innerhalb oder außerhalb kirchlicher Räume – sind Teil unserer Gottesdienste, unserer Gruppen, unserer Sitzungen und unserer Begegnungen. Für sie ist es entscheidend, ob wir als
Kirche achtsam sind, ob wir Schutzräume bieten, sprachfähig sind und sensibel reagieren können.
Alle Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen müssten daher ihre Meldepflicht kennen, Gefährdungssituationen einschätzen können und wissen, wie sie reagieren müssen, wenn ein Satz gesagt wird, wie „Ich muss Ihnen etwas erzählen…“.
Stand der Präventionsarbeit
Bis Ende 2025 sollten alle Gemeinden und Einrichtungen verpflichtend ein Schutzkonzept erarbeiten, beschließen und veröffentlichen. 88 Prozent der Gemeinden (90 Prozent der gesamtkirchlichen Einrichtungen) haben sich auf den Weg gemacht, ein Schutzkonzept zu erarbeiten. 36 Prozent der Gemeinden (22 Prozent der gesamtkirchlichen Einrichtungen) haben diesen Prozess inklusive Beschlussfassung und Veröffentlichung des Schutzkonzeptes abgeschlossen, erläuterte Pastorin Heike Wegener, Präventionsbeauftragte der BEK. Angesichts des laufenden Prozesses in vielen Gemeinden und Einrichtungen wurde die Frist, bis zu der die fertigen Schutzkonzepte veröffentlicht werden müssen, bis zum 31. März 2026 verlängert.
Alle Hauptamtlichen der BEK müssen verpflichtend an einer Basis-Präventionsschulung teilnehmen. Dort werden grundlegende Kenntnisse vermittelt: Wo beginnt sexualisierte Gewalt, wie können Mitarbeitende grenzwahrend handeln und woran lassen sich Strategien von Täterpersonen erkennen? Außerdem vermittelt die Basisschulung grundlegende Kenntnisse über Meldepflichten, Hilfsangebote und zum Interventionsplan der BEK.
Für die Basisschulungen wurden im Jahr 2025 neun Multiplikatorinnen innerhalb der BEK ausgebildet, die Schulungen durchführen und Gemeinden bei der Umsetzung von Schutzkonzepten begleiten. Weitere Multiplikatorinnen werden im Jahr 2026 folgen.
Zum Abschluss ihres Berichtes stellte Nancy Janz fest:
Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt ist kein Projekt, das abgeschlossen werden kann. Sie ist ein fortlaufender Prozess, der Mut, klare Haltung, Ressourcen und die Bereitschaft erfordert, aus Fehlern zu lernen. Wir werden nie „fertig“ sein, aber wir können klarer, verbindlicher und betroffenenorientierter werden. So entsteht eine Kirche, die schützt, die Verantwortung übernimmt und in der niemand mit seiner Geschichte allein gelassen wird.
Verschärfungen bei Führungszeugnissen und dem Schulungsturnus beschlossen
Nach Bericht und Aussprache fasste der Kirchentag einen Beschluss, der Verschärfungen der Richtlinien vorsieht: Schon jetzt müssen alle hauptamtlich und in besonders sensiblen Bereichen Tätigen in der BEK regelmäßig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Im Bereich der Arbeit mit Kindern und jungen Menschen gilt diese Verpflichtung auch für Ehrenamtliche. Künftig sollen auch alle Ehrenamtlichen in Leitungsverantwortung ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen.
Außerdem wird in dem Beschluss der Schulungsturnus verbindlich festgelegt: Alle hauptamtlich in der Bremischen Evangelischen Kirche tätigen Personen sowie Ehrenamtliche in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen müssen in einem dreijährigen Turnus eine Präventionsmaßnahme absolvieren. Alle sonstigen ehrenamtlich Aktiven in der der Bremischen Evangelischen Kirche sollten in einem fünfjährigen Turnus eine Präventionsmaßnahme absolvieren.
Der Kirchenausschuss soll dazu eine Richtlinie erarbeiten, wie diese verbindlichen Standards in Gemeinden und Einrichtungen umgesetzt werden sollen. Das Kirchenparlament wird im kommenden Jahr abschließend darüber beraten und beschließen.
Mit 77,9 Prozent stimmte der Kirchentag der Beschlussvorlage zu diesen Präzisierungen und Verschärfungen der Prävention sexualisierter Gewalt in der Bremischen Evangelischen Kirche zu.