Donnerstag, 19. Juni 2025
Traumata, Schuld, Scham und Aussöhnung: Aufarbeitung von Wehrmachtsverbrechen in der Bretagne
Nach 85 Jahren sprechen Nachkommen von Opfern und Tätern gemeinsam über Traumata, Schuld, Scham und Aussöhnung. Ausgangspunkt ist die Familiengeschichte des Bremer Journalisten Christoph Sodemann, dessen Vater im 2. Weltkrieg Kampfpilot der Wehrmacht war und über der Bretagne angeschossen wurde und notlanden musste. Der Vortrags- und Gesprächsabend findet am Donnerstag, 19. Juni um 20.00 Uhr im Albert-Schweitzer-Saal der Remberti-Gemeinde statt.
In den Erzählungen seines Vaters klang es nur wie ein gefährliches Kriegsabenteuer: Als Pilot im Zweiten Weltkrieg wird sein Kampfflugzeug bei Brest von französischer Flak angeschossen und muss auf einem Acker notlanden. Die vierköpfige Crew wird von Bauern umringt, beschimpft, geschlagen, schließlich festgenommen. Aber schon am nächsten Tag, dem 19. Juni 1940, besetzt eine Panzerdivision der Wehrmacht die Bretagne. Oberleutnant Kurt Sodemann und seine Crew werden befreit.
Er, als Opfer inszeniert, um sein Leben fürchtend angesichts der aufgebrachten Bauern. Und dann Schweigen, Verdrängen und Vergessen einer skrupellosen Tat.
Vor drei Jahren stieß sein Sohn, der Bremer Journalist Christoph Sodemann, im Internet auf ein Foto des Flugzeugwracks mit dem großen Hakenkreuz – und auf die ganze Geschichte. Dokumentiert hat sie der bretonische Lokalhistoriker Gildas Saouzanet.
Direkt nach der Besetzung suchen Wehrmachtssoldaten in dem Dorf Plouguerneau nach den Einwohnern, die die deutsche Crew attackiert hatten. Zwei Bauern werden verhaftet. Jean-Marie Kérandel und Jean Balcon waren diejenigen, die nach der Notlandung die aufgebrachten Bauern beruhigt hatten. Die Deutschen wissen das, aber sie wollen die Namen der Beteiligten. Doch Kérandel und Balcon schweigen. Am 23. Juni erlässt ein Offizier der Panzerdivision, im Hauptberuf Amtsrichter, ein Feldurteil. Kérandel wird zum Tod verurteilt, Balcon zu 12 Jahren Haft in Deutschland. Er kehrt 1945 als gebrochener Mann zurück. Kérandel wird am 27. Juni erschossen. Er war 57 Jahre alt und Vater von acht Kindern.
Für Christoph Sodemann war das ein Schock. Im März dieses Jahr ist er nach Plouguerneau gereist und hat Nachkommen von Jean-Marie Kérandel getroffen. Eine hoch emotionale Begegnung mit 21 Angehörigen im Rathaus von Plouguerneau. Jetzt kommen Yvonne und Françoise Kérandel, Enkelinnen des Ermordeten, mit dem Historiker Saouzanet nach Bremen.
Wie kann das transgenerationelle Erbe des Krieges gemeinsam überwunden werden? – Darüber sprechen sie mit Christoph Sodemann, dem Psychoanalytiker Dr. Peter Pogany-Wnendt, Vorsitzender des Arbeitskreises zu den intergenerationellen Folgen des Holocaust (PAKH e.V.) und Carole Zandona, Direktorin des Bremer Institut Français bei der Veranstaltung am Donnerstag, 19. Juni um 20.00 Uhr im Albert-Schweitzer-Saal der Remberti-Gemeinde
Eine gemeinsame Veranstaltung der St. Remberti-Gemeinde, des PAKH e.V. und des Bremer Institut Français – mit Unterstützung des Deutsch-Französischen Bürgerfonds.
Die Fotos in der Galerie zeigen Christoph Sodemann mit Familienangehörigen der Familie Kérandel, den Gedenkstein für Jean-Marie Kérandel sowie das notgelandete Flugzeug von Christoph Sodemanns Vater.