Präsidentin Edda Bosse auf der Demo "Bremen zeigt Gesicht"

Mit Herzblut

Rede von Präsidentin Edda Bosse auf der Demonstration „Bremen zeigt Gesicht. Für eine offene, freie und solidarische Gesellschaft“. Die Bremer Demo richtete sich gegen jede Art von Gewalt und rassistische Hetze. An der vom DGB initiierten Kundgebung nahmen zahlreiche Redner teil, neben Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und Werder-Boss Hubertus Hess-Grunewald, auch Edda Bosse, die Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche.

14. November 2018

Liebe Bremerinnen und Bremer,

Vor 175 Jahren kam der dänische Dichter Hans Christian Andersen zum ersten Mal nach Bremen. Er war auf der Durchreise von Kopenhagen nach Paris. Viele Etappen seiner Reise waren  unangenehm, über die Hansestadt jedoch schreibt er in sein Tagebuch:  „Bremen tauchte als Oase auf, das machten die freundlichen Gesichter, die ich dort traf.“

Ich greife noch tiefer in die Kiste der Geschichte. „Conserva domine Hospitium Ecclesiae Tuae! -  Erhalte, o Herr, die Herberge deiner Kirche!“ Ein Baumeister aus Paris, als Hugenotte selbst auf der Flucht, hat diese Worte 1688 in goldenen Lettern an einem neuen Weserbrückentor anbringen lassen. Diese Stadt, das besagte der Satz, heißt Glaubensflüchtlinge und Gäste willkommen, diese Stadt bietet Schutz und Heimat.

Das ist vorbildlich, aber einfacher gesagt als getan – daran müssen wir bis heute täglich und unermüdlich arbeiten, alle miteinander, als Religionsgemeinschaften, als Politik und Stadtgesellschaft. Unsere Aufgabe lautet: Aus Gastfreundschaft darf nicht Zerrissenheit werden, sondern Vielfalt und Bereicherung. Für eine offene, freie und solidarische Gesellschaft wollen wir uns einsetzen, deshalb stehen wir heute hier. Wenn ich darüber nachdenke, wie das gehen kann, dann hilft mir der Dreiklang, mit dem wir im vergangenen Jahr das Reformationsjubiläum gefeiert haben:  „FREI DENKEN -  FREI GLAUBEN -  FREI LEBEN.“ Darum geht es, so meine ich, auch heute - kurz, knapp und präzise.

FREI DENKEN. Die Freiheit der Gedanken ist ein hohes Gut. Nicht überall auf der Welt darf man seinen Gedanken freien Lauf lassen und sich ohne Denkverbote eine Meinung bilden. Wir können das, und niemand darf uns dafür verfolgen, verhaften und anklagen.

Das freie Denken birgt aber auch eine Verpflichtung. Es reicht nicht, sich vorgefertigte Allgemeinplätze einzuverleiben und sie nachzuplappern. Nein, es ist viel komplizierter: FREI DENKEN heißt, sich mit unterschiedlichen Positionen auseinander zu setzen und Gedachtes im Gespräch zum Thema zu machen. Erst das Gespräch und der friedliche Austausch über Meinungen und unterschiedliche Positionen führen zur Freiheit und eröffnen neue Horizonte. Die unterschiedlichen Lebenssituationen, Biografien, Begabungen, vielleicht auch Einschränkungen oder komplizierten Prägungen unserer Mitmenschen zeigen uns doch immer wieder, wie vielfältig und reich unsere Welt ist. Deshalb ist es nicht akzeptabel, wenn unser Bemühen, in weiten Räumen zu denken von Phrasendreschern und Schreihälsen blockiert und das freie Denken und Reden als „Lügenpresse“ verunglimpft und bedroht wird. In einer freiheitlichen Gesellschaft  das Denken in Schubladen zu stecken und sich den Inhalt bei Gelegenheit gegenseitig an den Kopf zu werfen ist verdummend, spaltend  und zukunftsverachtend. Wir, die wir zu dieser Demonstration  gekommen sind, wollen das nicht. Was wir wollen, wofür wir hier stehen, ist das kreative Potenzial: Erst der Ideenreichtum und die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten jedes und jeder Einzelnen von uns - z.B. hier auf diesem Marktplatz – stärken und beleben unsere Stadt.

FREI GLAUBEN. Ich bin dankbar, dass wir Kirchen und alle anderen Religionsgemeinschaften in Bremen unseren Glauben frei leben dürfen. Alle Glaubenden, die friedliebend und guten Willens sind, werden hier toleriert und sind willkommen. Inzwischen weist unsere Stadt eine beachtliche religiöse Vielfalt auf. Hier leben z.B. viele geflüchtete Christen anderer Sprache und Herkunft. Juden aus dem ehemaligen Ostblock sind zu uns gekommen, Muslime aus dem Iran, Aleviten, verfolgte Jesiden und viele andere gläubige Menschen, die eigene Traditionen haben.

Integrationsbereitschaft heißt hier nicht einfach: „Ihr könnt gerne zu uns kommen, aber dann müsst Ihr schon so sein wie wir.“ Nein, wenn wir FREI GLAUBEN ernst nehmen, dann müssen wir Räume, Foren und Beheimatung schaffen, bereit sein zu lernen und einander mit Respekt zu begegnen, in Schulen, in der Kirchengemeinde, im Verein, im Quartier. Integrationsarbeit ist mühsam und komplex. Sie wird getragen von positiven, menschenfreundlichen, aufgeschlossenen Leuten aller Couleur, die sich zusammen tun und gemeinsam das Beste für die Stadt suchen und gestalten.

Und wenn wir einmal scheitern, dann müssen wir aufstehen und weiter machen. Und wenn wir Rückschläge erleiden, dann müssen wir uns an die Hand nehmen und nach vorne schauen. Bösartigkeit, Kriminalität, Fehlverhalten, Lug und Trug oder religiöse Äußerungen und Handlungen, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung widersprechen, gibt es doch zu allen Zeiten und überall. Wir als Kirche wissen nur zu gut um Ereignisse, Entscheidungen und Handlungsweisen in unserer Geschichte, für die wir uns heute schämen, von der Ausgrenzung von Frauen über antisemitische Predigten bis hin zum Missbrauch. Darüber muss man sich empören, dafür haben wir uns zu entschuldigen, dafür müssen wir einstehen, daraus müssen wir lernen, entschlossen handeln und vorsorgen - und das tun wir auch. FREI GLAUBEN heißt in einem Rechtsstaat: Wir dürfen uns spirituell entfalten, doch ebenso müssen wir jeder Form der Entwürdigung klar widersprechen. Glaubensfreiheit ist ein Grundrecht, das für alle gilt. Sie ist aber immer auch die Freiheit der anders Gläubigen und muss mit Recht, Solidarität und gegenseitigem Respekt einhergehen.

FREI LEBEN. Wir haben es nach 1945 geschafft, durch  parlamentarische Demokratie in Kommune, Bundesland und der gesamte Republik einen Staat zu bauen, der heute eine freie Entfaltung von Lebensentwürfen und Lebensformen garantiert, wie wir sie nie hatten!  Dahinter möchte ich nicht zurück! Und an die Adresse all jener, die dieses Land schlecht reden, Angst schüren und dazu aufrufen, die Axt an die Wurzel der Demokratie zu legen, sage ich: Ich bin sehr froh, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben. Ich entstamme der Nachkriegs-Generation, deren Väter den Zweiten Weltkrieg mitgemacht haben, deren Eltern die Synagogen haben brennen lassen und die wegschauten, als ihre jüdischen Nachbarn verschleppt wurden. Uns Nachkriegskindern wurde Auschwitz als Lebensaufgabe mitgegeben. Und daher betrachte ich es auch zutiefst als meine Pflicht, gegen Antisemitismus, Rassismus, Diktatur und Vergessen anzukämpfen. Diese furchtbare Zeit war keine nebensächliche Episode unserer Geschichte, kein Kratzer im Lack, den es nur zu polieren gilt.  Nein, sie war ein gesellschaftliches Totalversagen, das sich nicht wiederholen darf. 1945 haben die Kirchen sich dafür angeklagt und ihre Mitschuld mit den Worten bekannt, dass sie – ich zitiere: „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

Deshalb sind wir heute hier, damit wir nicht eines Tages wieder unser Versagen schmerzlich bereuen müssen, weil wir Demokratie und Rechtsstaat preisgegeben und nicht verteidigt haben, als es noch möglich war. Wir sind hier, weil wir frühzeitig ein deutliches Zeichen setzen wollen, gegen jede Art von Unfreiheit, Gewalt und rassistischer Hetze!

Mit Kopf und Herzblut bauen wir seit über 70 Jahren an einer freiheitlichen Republik und wir sind noch lange nicht am Ende, weil die Herausforderungen immer Neue sind, und weil Leben und gemeinsames Leben immer Veränderung bedeutet. Wir brauchen keine Brandstifter, die alles schlecht reden. Wir brauchen Vertrauen und Zutrauen in die Zukunft. Ich bin sicher, wir haben den Mut, unsere freiheitliche Gesellschaft entschlossen zu verteidigen. Parolen und Geschrei akzeptieren wir nicht, sondern üben uns und unsere Kinder im respektvollen Gespräch. Die Augen verschließen wir nicht, sondern öffnen sie für diejenigen, die uns brauchen, weil ihnen Freiheit und Würde genommen wurden, weil sie ausgegrenzt werden oder unter Herrschaftszwängen leiden.

Ich schließe mit Worten aus dem Tagebuch von Hans Christian Andersen „…die Bremer lächelten mir zu wie bunte Blumen….“  So wünsche ich mir Bremen und so ist mein Bremen, darauf bin ich stolz, und ich lasse mir von niemandem einreden, dass es anders sein sollte. Bremen IST  bunt, wir leben die VIELFALT! Wo und wann kann man das besser sehen als hier auf dem Marktplatz, wo Sie alle Gesicht zeigen für die Freiheit. Vielen Dank dafür!

Rede von Präsidentin Edda Bosse auf der Demonstration „Bremen zeigt Gesicht“ am 14. November 2018 auf dem Bremer Marktplatz - es gilt das gesprochene Wort -