Pastor Dr. Bernd Kuschnerus zur gewerblichen Sterbehilfe

Keine „schnelle Lösung“

Die Frage der aktiven Sterbehilfe ist von großer Bedeutung für die Würde des Menschen im Leben und Sterben. Das Bundesverfassungsgerichts hat das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§217 StGB) aufgehoben. Lesen Sie dazu eine kritische Stellungnahme von Schriftführer Pastor Dr. Bernd Kuschnerus.

15. Juni 2020

Mit diesem Urteil ist einer Entwicklung Tür und Tor geöffnet, die für uns als Kirche nur schwer erträglich ist. Ich erwarte vom Gesetzgeber deshalb, dass er die Chance, die das Urteil bietet, nutzt, nämlich die dringend notwendige Präzisierung der Regelungen vorzunehmen.

Denn klar ist: In begründeten Einzelfällen müssen Gewissensentscheidungen möglich sein, bei denen stets der betroffene Patient und sein Interesse im Mittelpunkt stehen. Aber davon deutlich zu unterscheiden ist, wenn solche individuellen Gewissensentscheidungen von Vereinen oder gar mit kommerziellem Interesse in Serie umgesetzt werden können.

Ist das Töten erst einmal legal, dann ist der Damm gebrochen, und es wird bald gesellschaftsfähig. Wer denkt eigentlich an die Nöte derjenigen, die gebeten werden zu töten, dies aber nicht fertigbringen? Sie werden mit hineingezogen. Wer denkt an die schwerstkranken, alten oder pflegebedürftigen Menschen, die eigentlich noch nicht sterben wollen? Ich finde es unerträglich, wenn auf Menschen Druck ausgeübt wird, anderen doch bitte nicht mehr zur Last zu fallen. Es kann nicht sein, dass sich Menschen auch in Deutschland demnächst mit Rücksicht auf die Kosten und die unzureichenden pflegerischen Versorgungsmöglichkeiten genötigt fühlen, den assistierten Suizid für sich zu wählen.

Auch der Druck auf Pflege, Palliativversorgung und Hospize wächst durch die Legalisierung von Sterbehilfe, denn warum soll es diese teuren und aufwändigen Einrichtungen noch geben, wenn doch der schnelle assistierte Suizid die viel kostengünstigere Lösung ist?

Ich verfolge die Entwicklung in Belgien und den Niederlanden intensiv, wo Ärzte mittlerweile gegen die dortige Ausweitung legaler Sterbehilfe deutlich protestieren. In diesen Ländern ist ein massiver Mentalitätswandel zu beobachten, weil durch die gesetzlichen Regelungen mittlerweile ein gesellschaftlicher Druck aufgebaut ist, sich in bestimmten Lebenssituationen für die Sterbehilfe als „schnelle Lösung“ zu entscheiden. Das betrifft auch Menschen mit geistiger Behinderung.

Bevor wir das Töten legalisieren, müssen wir darüber nachdenken, wie wir Leben auch bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit würdiger gestalten können und so ein würdevolles Sterben ermöglichen.

Wir alle sind gefragt, Seelsorgerinnen und Seelsorger wie auch Angehörige und Freunde, dafür zu sorgen, dass Menschen in belastenden Grenzsituationen zwischen Leben und Tod nicht allein sind. Palliativversorgung, Hospize wie auch Pflege insgesamt müssen deshalb ausgebaut und gestärkt werden. Auch das kann dazu beitragen, scheinbar ausweglose Situationen zu vermeiden, in denen Menschen sich zu einer assistierten Selbsttötung gedrängt sehen, weil sie keine andere Möglichkeit für sich mehr sehen.

Als Christ betrachte ich das Leben als ein Geschenk Gottes und sehe den klaren Auftrag, verantwortungsvoll damit umzugehen. Nach meiner Überzeugung reicht das Leben über den Tod hinaus, und das Sterben gehört untrennbar dazu. Diesen Übergang zu begleiten, ein friedliches Abschiednehmen zu ermöglichen und Menschen in dieser existenziellen Notlage zu trösten, ist nach meiner Auffassung die vorrangige Aufgabe einer zivilisierten Gesellschaft. Es ist immer besser, an der Hand eines anderen Menschen als durch die Hand eines anderen Menschen zu sterben.

Pastor Dr. Bernd Kuschnerus ist seit 2019 Schriftführer in der Bremischen Evangelischen Kirche