Donnerstag, 25. September 2025
Junge Bremer Kirchendelegation besucht Lidice
Im Rahmen der langjährigen Verbundenheit Bremens mit Lidice – ein tschechisches Dorf, das als Synonym für den NS-Terror steht – besuchen Präses Maria Esfandiari, Kirchenpräsident Pastor Dr. Bernd Kuschnerus und eine Delegation junger Theologinnen und Theologen aus der Bremischen Evangelischen Kirche derzeit Tschechien. Mit dem Besuch intensiviert die Bremische Evangelische Kirche (BEK) ihre Partnerschaft mit Lidice.
Sinn unserer Reise ist es, den Austausch und den Versöhnungsgedanken an die jüngere Generation weiterzugeben.
betont Kirchenpräsident Bernd Kuschnerus. Er hatte bereits mit der früheren Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, Edda Bosse, im Mai 2024 Lidice besucht. Damals hatten die Bremer Kirchenrepräsentanten mit Veronika Kellerová, der Bürgermeisterin des neuen Dorfes Lidice, und weiteren ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern vereinbart, die deutsch-tschechischen Kontakte zu intensivieren und vor allem junge Menschen dabei einzubeziehen.
Deshalb komme ich nun mit Theologiestudierenden und Menschen den ersten Amtsjahren des Pfarrdienstes und nicht zuletzt mit unserer neuen Präses hierher. Die Christliche Friedenskonferenz hat im Juni 1982 bei einem Symposium in Kladno mit Recht auf die moralische Verantwortung der Menschen im Land der Täter wie der Opfer hingewiesen, Untaten wie das deutsche Massaker in Lidice nie wieder zuzulassen. Das geht nur durch fortwährende Erinnerung, Begegnungen und indem wir den Versöhnungsgedanken lebendig halten. Das ist Ziel unserer Reise.
erläutert Kuschnerus. Im Mittelpunkt stehen dabei viele Begegnungen, aber auch der Blick zurück in die tschechisch-deutsche Geschichte und ihre Bedeutung für die Gegenwart.
Aus der Geschichte lernt man am besten durch Begegnungen und an den Schauplätzen, an denen Menschen einander schreckliches Leid zugefügt haben. Sich der Rolle der Deutschen zu stellen, ist für uns als jüngere Generation eine dauerhafte Verpflichtung. Gerade angesichts leider lauter werdender rechtextremer Stimmen in Deutschland brauchen wir diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, damit sich solch mörderische Taten in deutschem Namen nicht wiederholen.
sagt Präses Maria Esfandiari, die die Delegation ebenfalls begleitet.
Auf dem Programm stehen u.a. Gespräche mit Lidices Bürgermeisterin Veronika Kellerova, deren Vorfahren selber Opfer des deutschen Massakers wurden. Die Großmutter der Bürgermeisterin war eine jener aus Lidice verschleppten Frauen, die das Glück hatten, aus dem Konzentrationslager zurückzukehren. Ihre Urgroßmutter kam in Auschwitz ums Leben, ihr Urgroßvater und ihr Großonkel wurden bei der Vernichtung des Dorfes durch das deutsche "Sonderkommando" erschossen.
Außerdem besucht die Delegation die Gedenkstätte, in deren Rosengarten die Bremer eine Rose als Zeichen der Verbundenheit und des Gedenkens an die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands auf tschechischem Boden pflanzen. Geplant ist zudem ein Workshoptag im Begegnungszentrum Oáza in Lidice, wo die jungen Bremerinnen und Bremer u.a. bei Gartenarbeiten mit anpacken,
Auch ein Besuch in Prag, u.a. in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde und ein Gespräch mit der dortigen Pfarrerin Kristýna Malíšková Pilecká ist vorgesehen. An der Evangelisch- theologischen Fakultät der Karlsuniversität treffen die Besucherinnen und Besucher aus Bremen auf die Prodekanin für Internationale Beziehungen, Olga Navrátilová (Philosophin. Theologin und Juristin).
Ebenso sind die Verfolgung, Entrechtung und Ermordung jüdischer Menschen in Tschechien durch Deutsche während des Nationalsozialismus ein wichtiger Schwerpunkt der Reise. So besucht die Delegation den Prager Stadtteil Josefov, in dem sich das ehemaliges jüdische Ghetto befand, und Theresienstadt, wo bis Mai 1945 etwa 141.000 eingesperrt wurden, darunter 70.000 alte Menschen und etwa 9.000 Kinder. Theresienstadt war ein von den Nazis als ‚Ghetto‘ verharmlostes Vorzeige-KZ und diente der SS als Sammel- und Durchgangslager. Es wird auch als „Todeszelle“ bezeichnet, wogegen Auschwitz die „Hinrichtungsstätte“ war. In Theresienstadt wurden etwa 33.000 Menschen ermordet und in Massengräbern verscharrt.
Die Pastorin der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG), Sabine Groen, wird am Sonntag (28. September) im Gemeindegottesdienst in Kladno, dem Nachbarort von Lidice, predigen. Auch dort sind Begegnungen mit der Gemeinde geplant.
“Wir wollen den Staffelstab der Erinnerung und der Partnerschaft an die nächste Generation weitergeben. Geschichte ist nie vergangen, sondern berührt und betrifft uns unmittelbar. Das merken wir, wenn wir in der Gedenkstätte von Lidice stehen. Die Frage, wo wir herkommen und wie wir nach vorne schauen, kommt uns bei so einem Besuch sehr nahe”
sagt Pastorin Ulrike Oetken, als Ausbildungsreferentin der BEK verantwortlich für den theologischen Nachwuchs. Sie war selbst von 20 Jahren mit dem Begründer der Partnerschaft, dem damaligen Schriftführer Pastor Dr. Ernst Uhl, in Lidice und hat die jetzige Delegationsreise initiiert. Heute geht es ihr darum, auch Kontakte zwischen jungen tschechischen und deutschen Theolog:innen zu schaffen. “Wir haben mit Kristýna Malíšková Pilecká eine junge Pfarrerin in Prag getroffen, mit der wir uns einig waren, dass Kirche Dialogräume schaffen muss. Gerade mit Blick auf unsere gemeinsame, oft leidvolle Geschichte unserer Völker ist Kirche der Ort, um in den Austausch zu kommen.” Beim Besuch an der Prager Universität sei es auch um die weltpolitische Lage gegangen:
Es gibt in Tschechien eine hohe Sensibilisierung für die Situation in der Ukraine und die Bedrohung durch Russland, begründet in der tschechischen Geschichte. Wir sind als Kirche nicht die größte Kraft und nicht die lauteste Stimme, aber wenn es um Versöhnung geht, eine entscheidende.
Noch bis zum 29. September hält sich die Bremer Delegation in Tschechien auf.
Zum historischen Hintergrund:
Am 10. Juni 1942 überfiel ein "Sonderkommando" der Gestapo, der Schutzpolizei und der SS das tschechische Dorf Lidice. Dort wurden alle 178 Männer, die älter als 15 Jahre waren, erschossen, 195 Frauen in das KZ Ravensbrück deportiert, wo 52 von ihnen ermordet wurden. Von den knapp 100 Kindern des Dorfes wurden 86 im Vernichtungslager Kulmhof ermordet und neun zur sogenannten "Germanisierung" verschleppt. Der kleine böhmische Ort nahe Prag wurde anschließend vollkommen zerstört und dem Erdboden gleichgemacht. Das Massaker war laut Nazi-Propaganda eine "Vergeltungsmaßnahme" für das Attentat auf Reinhard Heydrich, Gestapo-Chef und sogenannter “Stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren", der im Mai 1942 in Prag Opfer eines Mordanschlags wurde. Der hochrangige Nazi war als “Henker von Prag” verhasst, der die tschechische Bevölkerung rücksichtslos ausbeutete und mit drakonischen Maßnahmen unterdrückte, inhaftierte und ermorden ließ.
Zu den Opfern von Lidice und Ležáky (am 24. Juni 1942) kommen 3.188 im Sommer 1942 zum Tode verurteilte Tschechen, davon 477 aus dem einzigen Grund, dass sie das Attentat auf Heydrich ‚gutgeheißen‘ hatten.
Die Erinnerung an das grausame deutsche Kriegsverbrechen verbindet Bremen und Lidice. Nach Kriegsende entstand unweit des ehemaligen Dorfes ein neues Lidice. Eine Gedenkstätte und ein Museum erinnern an eines der berüchtigtsten Massaker der Nationalsozialisten.
Die Bremer Lidice-Initiative
Die Gründung der Bremer Lidice-Initiative 1979 geht auf den 2022 verstorbenen ehemalige Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, Pastor Ernst Uhl, zurück.
Wir nannten uns Lidice-Initiative, um von vornherein klarzumachen:
Wir wollen die schuldbeladene Vergangenheit ansprechen, die zwischen Deutschen und Tschechen stand. Als Christ habe ich mir keinen anderen Zugang vorstellen können und über die Jahre ist so etwas wie Freundschaft entstanden.
So erinnerte sich Ernst Uhl 2002 in einem Interview. Als Sprecher der Gruppe gelang es ihm Ende der 1990er Jahre, 300.000 D-Mark an Spenden zu sammeln. Mit dem Geld wurde in dem Dorf, das die tschechische Regierung nach 1945 wieder aufbauen ließ, die Begegnungsstätte "Oase" eröffnet.
In den Bremer Wallanlagen entstand auf Betreiben der Initiative 1989 das erste Lidice-Denkmal auf deutschem Boden. Ernst Uhl hat sich zeitlebens für Frieden und Verständigung und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit eingesetzt und zahlreiche Jugendfahrten nach Lidice organisiert. 1994 wurde Uhl zum Ehrenbürger von Lidice ernannt.
In Erinnerung an das deutsche Kriegsverbrechen gibt es in Lidice eine Gedenkstätte, die jedes Jahr von Menschen aus aller Welt besucht wird. Im Garten des Friedens und der Versöhnung unterstützte die Lidice-Initiative 2002 die Anpflanzung von 1.000 Rosen. Mittlerweile blühen den Sommer mehr als 25.000 Rosen.
Im Mai 2024 hatten der damalige Schriftführer Pastor Dr. Bernd Kuschnerus und die damalige BEK-Präsidentin Edda Bosse bei ihrem Besuch in Lidice im Namen der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) eine weitere Rose gepflanzt.
Die Gastfreundschaft der Bürgerinnen und Bürger von Lidice, ihre Gesten der Versöhnung und der Freundschaft, haben mich tief beeindruckt.
So die damalige BEK-Präsidentin Edda Bosse über ihren Besuch in Tschechien im Mai 2024.
Im Juni dieses Jahres hatte Kirchenpräsident Pastor Dr. Bernd Kuschnerus im Rahmen seiner Teilnahme an der offiziellen Gedenkveranstaltung zum 83. Jahrestag der Vernichtung von Lidice in Kladno gepredigt. An den Verbrechen der deutschen Besatzer werde sichtbar, was fehle, “wenn Menschlichkeit fehlt”:
Das Gedenken an die entsetzlichen Verbrechen, die im Krieg von Deutschen an tschechischen Menschen begangen worden sind, ist eine eindringliche Mahnung zu Frieden und Menschlichkeit. Diese Mahnung ist heute wieder dringend nötig.