Predigt von Kirchenpräsident Dr. Bernd Kuschnerus zur Jahreslosung 2026
"Siehe ich mache alles neu"
Schon vieles hatte der Teddy erlebt. Doch das, was jetzt geschehen war, war wirklich schlimm. Plötzlich war der kleine Stoffbär nur noch einäugig. Das andere fröhliche Knopfauge war verschwunden und unauffindbar. Als das Kind das Unglück entdeckte, blitzen Tränen in seinen Augen. Weinend lief es zu seinem Vater. Schließlich war der Vater Arzt – ein Held, der Menschen gesund machen kann. Warum sollte er also nicht auch dem Teddy helfen können? Der Vater hörte dem schluchzenden Kind geduldig zu. Dann untersuchte er den Teddy mit großer Sorgfalt. Schließlich fragte er, „Kann ich deinen Teddy für ein paar Tage ausleihen?“ Das Kind nickte hoffnungsvoll.
Der Vater machte sich an die Arbeit. Zunächst musste im Spielzeugladen ein neues Ersatzauge beschafft werden. Dann am Abend, als das Kind friedlich schlief, begann die Operation. Mit geschickten Händen nähte der Vater das Knopfauge sorgfältig an seinen Platz. Der Vater bemühte sich mit einem Augenzwinkern um ärztlichen Realismus: Wir alle wissen, eine Heilung braucht Zeit. Der Teddy sollte für eine Woche im Büro bleiben, um sich auszuruhen. Der Vater hatte zum Schutz eine Binde um den Kopf gewickelt, die auch die Knopfaugen verdeckte. Der kleine Bär durfte jetzt nicht rumtoben, um das frisch operierte Auge nicht zu gefährden.
Eine Woche verging. Das war für das Kind eine echte Geduldsprobe. Während der Vater in der Praxis war, oder an seinem Schreibtisch arbeitete, ruhte der Teddy und heilte.
Endlich war der große Tag gekommen! Wie aufregend war es, als der Vater den Teddy wieder in die Arme des Kindes legte. Die Binde durfte das Kind jetzt selbst abwickeln. Ganz vorsichtig.
Die Binde fällt und der Teddy leuchtet das Kind wieder mit zwei perfekten Augen an. Der Teddy ist wie neu. Auch die Augen des Kindes strahlen, als es seinen Vater anschaut: „Du bist der beste Heilemacher der Welt!“
Wie schön wäre es, wenn es immer so wäre, wie in dieser kleinen Anekdote, die mir einmal erzählt wurde: Was kaputt ist, wird heil. Was vergänglich war, wird wieder neu.
Der Predigttext
Der Predigttext für den heutigen Silvestertag ist die Jahreslosung für das Jahr 2026. Sie nimmt die Hoffnung nach Erneuerung und Heilung auf. Wir finden sie im Buch der Offenbarung, Kapitel 21, 5. Dort heißt es:
„Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu!“
Rückblick in Dankbarkeit
Wenn ich an das vergangene Jahr denke, kommen mir viele Situationen wieder vor Augen, in denen etwas heil geworden ist, oder ich Schönes, Neues erlebt habe oder mit Freude beschenkt worden bin.
Einige Feste gehören dazu, die Fröhlichkeit, mit lieben Menschen beisammen zu sein, ausgelassen zu feiern, oder miteinander Stille zu teilen, oder intensive Gespräche zu führen.
Auch an die Begegnung mit Menschen, die sich in der Kirche engagieren denke ich gerne, hier in Bremen und auch in anderen Ländern und Orten. Ich denke, was für ein Geschenk ist es, von ihren Erfahrungen zu hören und eine oft überraschende und überwältigende Gastfreundschaft zu erleben.
Mit Studierenden haben wir im Herbst das tschechische Dorf Lidice besucht. Dort hatten 1942 deutsche Soldaten ein Massaker verübt. Bei unserem Besuch bei den tschechischen Freunden sind wir intensiv miteinander ins Gespräch gekommen. Es gab einen lebendigen Austausch. Gemeinsam haben wir zum Gedenken eine Rose gepflanzt. Wir haben erlebt, was Versöhnung bedeuten kann.
In der Nacht der Kirchen und am Reformationstag waren wir mit Tausenden in Bremen unterwegs in Gottesdiensten, Musikveranstaltungen, Segenfeiern und mit großartigen Begegnungen.
Ich denke auch an das Gefühl in meinem Dienst, wenn eine Zusammenarbeit gut gelingt, wenn wir gemeinsam ein Problem gelöst haben. Manches Mal ist im letzten Jahr eine verfahrene Situation wieder frei geworden. Und manchmal gelang es sogar, es gemeinsam mit denen zu schaffen, die scheinbar zuerst auf einer anderen Seite standen. Wir haben dann nicht nur miteinander einen Konflikt beendet, sondern auch überlegt, wie wir zukünftig gemeinsam weiterkommen.
Für mich gehören zur Erneuerung auch die kleinen und größeren Auszeiten, die Erholung bei Strandspaziergängen, Waldwanderungen, bei denen du mit jedem Atemzug und jedem Schritt spürst, wie die Lasten von dir abfallen, die du mit dir herumträgst.
Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr fallen mir Situationen ein, über die ich einfach nur dankbar bin. Dazu gehört auch so vieles, das mir im Alltag gar nicht immer bewusst ist, mich aber in meinem Leben trägt: Die Lieben um mich herum, Freundschaften, natürlich. Was für ein Lebensgeschenk! Und auch alltägliche Freundlichkeiten, der Schnack auf dem Weg zur Arbeit, das Lächeln beim Einkauf, der einfühlsame Zahnarzt…. Und vieles, vieles mehr. Wenn Sie zurückblicken auf das vergangene Jahr, was kommt Ihnen dann in den Sinn?
Rückblick auf Sorgen
Aber natürlich, es gibt auch die andere Seite. Im letzten Jahr ist auch manches gewesen, von dem ich mir erhoffe, dass es vergeht. Es ist nicht mehr der Teddy. Vielleicht, denke ich, sind wir selbst es, die eine Reparatur nötig hätten, und erneuert werden müssten. Der Körper macht uns vielleicht Beschwerden. Oder die Seele ist niedergeschlagen oder ängstlich. Oder unser Miteinander gelingt nicht so, wie es sein sollte. Manches, das wir getan haben, möchten wir vielleicht ungeschehen machen. Manches ist vielleicht kaputt gegangen. Wie kann es wieder heil werden? Vielleicht sorgen wir uns noch mehr um andere als um uns selbst, um ihren Lebensweg, um ihre Gesundheit und ihr Glück.
Ich will gar nicht erst anfangen, von den großen Sorgen um diese Welt: Das sind für mich die Sorgen angesichts der schrecklichen Kriege, die Gewalt unter denen die Menschen in der Ukraine und dem Sudan und an anderen Orten dieser Welt entsetzlich leiden. Es ist die Angst um unsere Lebensgrundlagen, die wir selbst bedrohen, indem wir zum Klimawandel und zum Sterben der Arten beitragen. Es ist die Besorgnis darüber, dass einige der mächtigsten Staaten dieser Welt von Machthabern regiert werden, denen die Selbstherrschaft wichtiger ist als das Allgemeinwohl, und über Tech-Milliardäre, die ihre riesige Medienmacht dazu nutzen, unsere Demokratie verächtlich zu machen. Braucht nicht unsere ganze Welt eine Reparatur?
Sehnsucht nach Erneuerung
„Siehe, ich mache alles neu!“ Das klingt nach einer dringend benötigten Pause, nach einer Wende, die man kaum zu hoffen wagt, nach einem Gespräch, das endlich gelingt, nach einer Nachricht ohne Katastrophe, nach einem Alltag, der wieder Luft lässt. Es drückt die Sehnsucht nach einer Welt aus, in der nicht das Recht der Stärkeren zählt. Sondern in der Recht und Gerechtigkeit stark sind und alle teilhaben können. Denn Gott setzt dem Unheil und Leid eine Grenze und macht alles neu, was verkehrt ist - das Verkehrte in uns am besten gleich mit.
In der Jahreslosung klingt die Sehnsucht nach der Zukunft an, von der die Offenbarung erzählt: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“ (Offenbarung 21,5).
Wer wünscht sich nicht, dass Gewalt, Bosheit und Zerstörung ans Ende kommen? Dass Frieden auf Erden herrscht? Und alle sorgsam mit unserer Umwelt umgehen?
Erwachsener Glaube
Wie großartig wäre es, wenn wir zu Gott einfach wie Kinder zu Mutter oder Vater kommen könnten und alles in Gottes Hände legen, damit Gott es wieder heil macht. Wir gehen abends schlafen und wachen morgens auf und dann ist alles wieder gut.
Tief in mir kenne ich manchmal diesen kindlichen Wunsch. Aber so einfach ist es nicht. Irgendwann beim Erwachsenwerden haben wir gelernt, dass Eltern nicht alles wissen und wieder gut machen können. Eines Tages muss man ganz ohne Eltern auskommen. Und wenn man selbst Kinder hat, lernt man schnell die eigenen Grenzen kennen.
Auch Gott ist nicht der, der die menschlichen Wünsche zu erfüllen hat. Das weiß schon die Bibel. Das sagt auch unsere Erfahrung. So vieles in der Welt widerspricht der Liebe Gottes. So viel Unheil bleibt auf unserer Welt unbeantwortet. So viel Leid ist einfach sinnlos. Was einmal geschehen ist, lässt sich nicht zurückdrehen. Manchmal ist Gott uns dunkel und verborgen. Wer an Gott glaubt, muss oft genug gegen die eigene schlechte Erfahrung an Gott und seinen Verheißungen festhalten.
Zu Weihnachten haben wir die Ankunft des Gottes gefeiert, der in einem zerbrechlichen Kind zu uns kommt. Es ist ein Menschenkind, das von vielen als Heiland der Welt verehrt wird. Aber als es erwachsen wird, stirbt es am Kreuz, grausam von Menschen hingerichtet. Dieser Gott lässt sich von der Wut und Verzweiflung unverschuldet leidender Menschen berühren, so sehr, dass sich selbst dem aussetzt.
Die Jahreslosung ist darum keine Vertröstung. Vielmehr ist sie ein Einspruch der Liebe Gottes gegen die erbarmungslosen Wirklichkeiten dieser Welt. Sie stellt uns in die Spannung zwischen dem, wie es sein soll und dem wie es ist.
Die Erneuerung wahrnehmen
„Siehe“ – dieses Wort steht am Anfang der Jahreslosung. Das ist nicht der Appell zu schlafen und sich wegzuträumen aus der Wirklichkeit. Im Gegenteil – Das Wort fordert uns auf, genau hinzuschauen: Wo zeigt sich schon jetzt etwas von Gottes neuer Welt? Wo wird unser Leben heilsam erneuert?
Es ist wunderbar, wenn wir als Kirche daran teilhaben können und Menschen bei uns Hilfe, Trost, Gemeinschaft und Ermutigung finden. Neues wächst dort, wo wir einander ernst nehmen, wo Raum entsteht für Gespräche, Orte, an denen man nicht funktionieren muss, und wir aus unserem Glauben Kraft schöpfen. Die Hoffnung auf das Neue kann uns dazu ermutigen besonders da genau hinzuschauen und hinzugehen, wo Tränen fließen und wo es weh tut. Sie weckt uns dazu auf, nicht gleichgültig zu sein, und einen Blick für unsere Nächsten zu haben. Darum bilden ja unsere Gemeinden und Einrichtungen in Kirche und Diakonie Lebensnetze, in denen wir nacheinander fragen und einander beistehen. Wir müssen nicht perfekt sein. Nicht wir selbst machen die Welt neu, sondern Gott. Darin liegt der Segen des Satzes aus der Jahreslosung. Ich empfinde es als Entlastung und Ansporn, dass wir nicht übermenschlich sein müssen, sondern menschlich miteinander umgehen können.
GlaubealsWahrnehmung und Widerstandskraft
Der Wunsch, dass Gott alles neu macht, mag kindlich wirken. Ein kindlicher Glaube muss aber nicht kindisch sein. Das zeigt die Jahreslosung. Er kann sogar höchst realistisch und klug sein. Denn er bedeutet gerade nicht, dass ich meine Verantwortung abgebe und mich in Phantasiewelten flüchte oder den Versprechungen derer auf dem Leim gehe, die für alle schweren Probleme eine einfache Lösung parat haben und mir gerne das Denken abnehmen wollen.
Der Glaube kann meine Wahrnehmung für das Gute schärfen, das ich an jedem Tag aufs Neue empfange. Er macht mir Mut, nicht alles hinzunehmen, was schlecht ist.
Denn ich will mich nicht damit abfinden, dass die Welt bleibt, wie sie ist. Ich will es nicht als unveränderbar hinnehmen, dass es viel Leid, Gewalt, und Tod gibt. In dieser oft beängstigenden Zeit will ich den Mut und den Blick für andere nicht verlieren. Mit dieser Hoffnung, dass Gott alles neu macht, will ich in das neue Jahr gehen. Nicht in einem blinden Optimismus. Sondern mit offenen Augen. Und so bete ich: Ja, barmherziger Gott, mache alles neu. Und fang bei uns an. Amen.