10./11. September: Erinnern und gedenken - Te recuerdo Chile 1973-2023

Am 11. September 1973 wurden die demokratisch gewählte Regierung der Unidad Popular und ihr sozialistischer Präsident Salvador Allende durch einen brutalen Angriff des Militärs gestürzt. Tausende Menschen wurden in das Nationalstadion und in andere Lager verschleppt, gefoltert und ermordet.

Te recuerdo - erinnere mich an dich: 50 Jahre nach dem Putsch gedenken die Bremische Evangelische Kirche, die bremer shakespeare company, die Historische Kommission der SPD, Gewerkschaften und zahlreiche andere Akteure gemeinsam der Opfer und würdigen den Bremer Einsatz für die Exilchileninnen und Exilchilenen. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte wird auf beiden Veranstaltungen zum Gedenken sprechen.

Am Sonntag, den 10. September um 19 Uhr findet ein Konzert in der Kulturkirche St. Stephani statt. Gemeinsam musizieren das Trio del Sol um den Musiker und Exilchilenen Ulli Simon, die Folkgruppen Die Grenzgänger und La Kejoca, die iranische Gruppe Saba, die Bremer Kantorei St. Stephani und Solisten wie Can Tufan und Willi Schwarz. Sie präsentieren Lieder von Víctor Jara, Pablo Neruda, Violetta Parra, Mikis Theodorakis u.a. unter der Leitung von Tim Günther. Tickets: 21/ermäßigt 11 Euro – mit Bremen-Pass: 7 Euro, Vorverkauf: Nordwestticket

Am Montag, den 11. September um 19.30 Uhr Uhr folgt im Rahmen der Reihe Aus den Akten auf die Bühne die Premiere der szenischen Lesung Wenn ich das finstere Bild des Faschismus auftauchen sehe… in der bremer shakespeare company. Ensemblemitglieder lesen aus Zeitzeugnissen, z.B. Reden von Salvador Allende, Dokumenten des CIA, Korrespondenz zwischen westdeutscher Botschaft und Auswärtigem Amt, Aussagen von Zeitzeugen, Interviews mit Aktivisten und Journalisten, und Auszügen aus Biographien von Opfern der Diktatur.Tickets: 15 /ermäßigt 8 Euro

Hintergrund

Durch den Putsch und das Regime der Junta unter General Augusto Pinochet wurden von 1973 bis 1990 tausende Menschen getötet. Sie wurden im Zuge einer "Säuberungswelle" der Diktatur verhaftet, gefoltert, verschleppt und ermordet. 18 Jahre konnte sich die Junta an der Macht halten. Bis heute ist das Schicksal zahlreicher Menschen in Chile ungeklärt.

Unter den Verfolgten war auch die "Stimme der Unidad Popular", der bekannte Musiker Víctor Jara. In seinen sozialkritischen Liedern ging es um die einfachen Leute, ihr Leben und ihre Probleme, um Ungerechtigkeit oder politische Skandale.

Die Schönheit seiner Stimme und Musik, außerdem seine demokratisch-sozialistische Haltung waren so bekannt, seine Rolle als Vorbild so stark, dass er gleich in den allerersten Tagen nach dem Putsch ermordet wurde. ... Durch die Gewalt wurde und wird die Kraft und Beliebtheit der Musik des Widerstandes noch größer. Das ist glücklicherweise in den meisten Fällen so. Die Musik geht nicht unter, sondern sie wird lauter und stärkt die Menschen umso mehr.
(Tim Günther)

 

Musikalisch war der Sänger beeinflusst von der traditionellen chilenischen Folklore. Er gehörte zur revolutionären Künstler-Bewegung „Nueva Canción“ (Neues Lied) in Südamerika. Ihre Lieder, meist bereits vor der Pinochet-Zeit geschrieben, drücken die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit aus und sind bei Protesten bis heute allgegenwärtig.

Am 12. September 1973 wurde Víctor Jara zusammen mit tausenden anderen ins Sportstadion Estadio Chile gebracht, wo er zusammengeschlagen,  gefoltert und schließlich mit 44 Schüssen ermordet wurde. Seine bald darauf geflüchtete Witwe rettete seinen Nachlass und schmuggelte versteckte Aufnahmen ihres Mannes nach Europa. In seinem letzten Gedicht schrieb er über die Zustände im Estadio Chile:

Sie führen ihre Pläne mit einer gerissenen Präzision aus
ohne sich um irgendetwas Gedanken zu machen.
Das Blut ist für sie wie Medaillen. Das Abschlachten ist ein heldenhafter Akt.
(Víctor Jara)

Das Estadio Chile heißt heute offiziell  Estadio Víctor Jara.

Ins Exil nach Bremen

Für viele Chileninnen und Chilenen blieb nur der Weg ins Exil. Auf den Putsch in Chile wurde in Europa mit Protesten, Demonstrationen und Solidaritätsveranstaltungen reagiert. In Bremen unterstützten viele Menschen die Verfolgten der Militärjunta. Dank Hans Koschnick (SPD), damals Präsident des Bremer Senats, öffnete sich Bremen schnell für Geflüchtete aus Chile und vermittelte ihnen Wohnungen und Arbeitsplätze.

Der brutale Putsch im September 1973 gegen die Regierung Allende trug wesentlich zu meiner Politisierung bei. Ich war gerade 19 Jahre alt und lebte in Ostfriesland. Von hier aus erfuhr ich, dass die Solidaritätsbewegung in Bremen besonders stark war. Eine treibende Kraft war Hans Koschnick.
Ich konnte später mit Hans Koschnick über die damaligen Ereignisse sprechen.
Davon bin ich immer noch beeindruckt.
(Beenhard Oldigs, Vorsitzender der Historischen Kommission der SPD Land Bremen)

Gewerkschaften und Kirchengemeinden, u.a. eine evangelische Gemeinde in der Vahr, engagierten sich mit großem Einsatz für die Exilchileninnen und Exilchilenen.

Ich war zum Zeitpunkt des Putsches noch sehr jung. Später haben wir uns in der Schule und in der Familie damit beschäftigt. Die verharmlosenden und rechtfertigenden Äußerungen einiger deutscher Politiker (Franz Josef Strauß, Bruno Heck) empörten mich.  Als Jugendliche haben wir mit Begeisterung Pablo Neruda gelesen. Schauen wir nach Afghanistan, nach Russland, Syrien oder in den Iran:
Diese Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit ist heute aktueller denn je.
(Bernd Kuschnerus)

Die Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag des Militärputsches in Chile sollen an diese Ereignisse im September 1973 erinnern. Es ist eine Solidaritätsveranstaltung, die nicht nur die Vergangenheit, sondern auch Gegenwart und Zukunft aller Verfolgten weltweit im Blick hat.

Víctor Jara
Nationalstadion
Salvador Allende
Pablo Neruda, 1967