Die Fenster von Alfred Manessier

 

Licht, das singt

Was die vier Hauptfenster in Manessiers Gestaltung bedeuten sollen, ist weder mit einem Hinweis auf ihren ästhetischen Reiz noch mit einer Erklärung durch Bibel- und Heiligengeschichten zu beantworten. Jedoch liegen ihnen klare biblische Inhalte zu Grunde. Manessier legte Wert darauf, dass man diese aus seinem Werk nicht heraussieht, sie jedoch kennt, um dem Künstler auf seinem Weg in ein antwortendes Meditieren folgen zu können. Das schließt nicht aus, dass der Betrachter die Fenster als reines Spiel aus Licht und Farbe auf sich wirken lässt. Die innere Musikalität dieses Spiels erfährt er aber nur, wenn er weiß, dass für den Künstler Licht und Farbe Reflexe auf geistliches Geschehen darstellten.


Alfred Manessier selbst sah seine Fenster ganz als Diener der Verkündigung: "Man sollte nicht vergessen, dass diese Fenster streng genommen keine Kunstwerke sind. Sie sind »Teil des Ganzen«. Sie sind »im Dienst« genau wie die Musik, die Lieder und das Wort an diesem Ort." 

 

Das Pfingstfenster

» Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, ... «
(Apostelgeschichte 2)

Alfred Manessier, 1966
"Pfingstfenster"
Östliches Stirnfenster im Chor
der U.L.Frauen-Kirche
(Foto: Roman Mensing)

 

Dem großen Chorfenster liegt als meditativer Ausgangspunkt die biblische Pfingstgeschichte zu Grunde. Aus der gelbrot glühenden Höhe stürzt sich eine einheitliche, wenngleich in sich kompliziert zusammengesetzte Schwungbewegung auf horizontale Strukturen am unteren Rand, die aufgerissen werden. Die Formen zeigen heftige Verwerfungen, noch verstärkt durch die Grafik unterschiedlich starker Bleiadern. Farben und Formen werden teilweise in explosiven Einzelbewegungen mitgerissen. Trotz dieser formalen Dynamik bleibt das Licht im Ganzen eher kühl (Manessier:  » Das Licht des April, nicht das einer Feuersbrunst. «).

 

Das Weihnachtsfenster

» Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, ... «
(Joh. 1,14)

Alfred Manessier, 1966
"Weihnachtsfenster"
Östliches Stirnfenster
im nördl. Seitenschiff
der U.L.Frauen-Kirche
(Foto: Tristan Vankann Fotoetage)

 

Das Stirnfenster des nördlichen Seitenschiffs, das so genannte Weihnachtsfenster, hat eine Verbindung zur Menschwerdung des Wortes Gottes in Christus. Die formale Struktur ist einfach: ein überwiegend in Rot gehaltenes Mittelfeld, deutlich als abwärts gerichtete Bewegung zu erkennen, trennt zwei kühle Randzonen, in denen Grau vorherrscht. Auch hier setzt sich der Gesamteindruck bei genauerer Betrachtung aus komplizierten Einzelstrukturen zusammen. Das Blau, in der Spitze als trinitarische Symbolfarbe kenntlich, findet sich überall wieder. Die rot glühende Substanz ergießt sich in eine kühle Form, diese durchdringend und verwandelnd. Ein altes, aus der Zweinaturen-Lehre stammendes visuelles Symbol gewinnt moderne künstlerische Aktualität.

 

Das Predigtfenster

» So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, ... «
(2. Korinther 5,20)

Alfred Manessier, 1966
"Predigtfenster"
Östliches Stirnfenster
im südlichen Seitenschiff
der U.L.Frauen-Kirche
(Foto: Tristan Vankann Fotoetage)

 

Die Nähe der Kanzel bestimmt das Thema des südlichen Stirnfensters: das verkündigte Wort. Es wird beherrscht von diagonalen Strukturen. Zum linken Rand, also zur Kanzel hin, verdichten sich die Farben immer stärker zu den Christusfarben des nördlichen Gegenstücks, während der rechte Bereich die Palette des Pfingstfensters aufnimmt. Nicht Menschenwort macht sich geltend, sondern im Menschenwort jenes andere Wort, das Geist und Leben ist. Die fast schroffe Diagonalität wird grafisch unterstrichen durch rautenförmige Lineamente im Innenbereich.

 

Das Marienfenster

» Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen «
(Lukas 2,19)

Alfred Manessier, 1966
"Marienfenster"
Rundfenster im Westwerk
der U.L.Frauen-Kirche
(Foto: Tristan Vankann Fotoetage)

 

Das Radfenster im Westen (in der Zone der Kirchenmusik) sollte ursprünglich an den Lobgesang der Maria, das Magnificat (Lukas 1), anknüpfen, jedoch die runde Form widerstand der Idee des Magnificats. An seine Stelle trat der Marientext der Weihnachtsgeschichte, Grundtext für den meditativ-bewahrenden Umgang mit dem Gotteswort, dessen Außenseite der Lobgesang bildet. In der Mitte konzentrieren sich dunkel leuchtendes Blau und Rot, die Christusfarben ins Mystische wendend, während an den Rändern aufgehellte Farben (Anklänge an das Pfingstfenster) nach außen drängen. Beides, das Zentripetale und das Zentrifugale, die Konzentration auf das Innerste und die Explosion über die Kreislinie hinaus, Meditation und Magnificat fließen ineinander zur endgültigen Gestalt. Ein etwas banales neuromanisches Rundfenster hat eine Seele.

 

Die Seitenfenster

Alle übrigen Fenster ordnen sich als farbige Lichtvorhänge den vier Hauptfenstern unter. Jedoch greifen Farben und Gestaltung der Hauptfenster jeweils in die Spitzbogenfelder der benachbarten Nebenfenster über und verknüpfen so das Fensterband zu einem Ganzen. Nach der Apostelgeschichte des Lukas (Luk. 2, 2) erfüllt der Pfingstgeist das ganze Haus, in dem sie saßen.

 

Vollständiger Text über die Entstehung und Erklärung der Fenster zum Herunterladen:
Gottfried Sprondel: Das Kirchenfensterwerk Alfred Manessiers in Liebfrauen
Dr. Gottfried Sprondel war Pastor der Gemeinde von 1959 bis 1976